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 Forum Index —› Architektur allgemein —› München: Wie die bedeutendste Sichtachse zerstört wird
 


Autor Mitteilung
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


Gesendet: 02:00 - 10.03.2004

Braucht München Hochhäuser? Die Antwort lautet: Ja natürlich – aber nicht die, die gerade gebaut werden

Von Gottfried Knapp


München, Odeonsplatz, Blick nach Norden, die Ludwigstraße entlang. Eines der bedeutendsten Stadtbaukunstwerke des 19. Jahrhunderts tut sich auf, ein stilistisch geschlossener urbaner Raum, der im Siegestor seinen wirkungsvollen Abschluss findet. Doch die Idealvedute, die zwei Weltkriege überdauert hat, wird seit kurzem brutal aufgeschlitzt: Links über dem Siegestor wachsen zwei gläserne Finger zu einem monströsen Victory-Zeichen in den Himmel.

Ein funktional wie ästhetisch missglücktes Doppelhochhaus am Mittleren Ring schiebt sich in die stadträumliche Vision des Klassizismus und setzt dem Friedensmahnmal in der Maxvorstadt Hörner auf. Helmut Jahn, Lieblingsarchitekt globalistisch verwirrter Bauträger in Deutschland, lässt am Ende der Nürnberger Autobahn die Kräne kreisen und schickt dem Kollegen Klenze höhnische Grüße zu.

König Ludwig I. aber, auf seinem Denkmalsockel über seinen Odeonsplatz reitend, wendet den Kopf mit Grausen ab von der Schandtat im Norden und zornig der Stadt zu, die solches zuließ . . . Ein Münchner Skandal.

Tatsächlich ist die Unverschämtheit, mit der das Hochhaus am Ende der wichtigsten historischen Achse der Stadt aufgetaucht ist, eine schwere Blamage für die Münchner Stadtplanungsbehörden – und einer der Hauptgründe dafür, dass die öffentliche Diskussion über den Nutzen von Hochhäusern in München zu einem Streit eskaliert ist.

Wenn das in der Mitte aufgeschlitzte Zufallsgebilde, das Helmut Jahn bei einer seiner Weltumrundungen im Norden Münchens hat fallen lassen, wenigstens exakt in der Mitte der ludovizianischen Achse gelandet wäre, könnte man die Finger vielleicht noch als Point de vue, als Stadtkrone, schönreden, doch so dämlich versetzt wirkt das Ganze wie ein bösartiger Angriff – eine Peinlichkeit, die täglich wächst.

Wie konnte in einer Stadt, die sich gleich zwei Gutachten zum Thema Hochhäuser geleistet hat, so etwas passieren? Warum wurden die für München entwickelten Kontrollinstrumente hier außer Kraft gesetzt? Die Arbeitsgruppe um Detlef Schreiber hat 1995 in ihrem Gutachten neun Standorte im Münchner Norden definiert, an denen „höherprofilierte Gebäude als Stadtzeichen“ denkbar wären, doch das Gelände am Autobahnausläufer ist nicht darunter; es wird zu jenen Zonen gezählt, in denen man zwar die Baumasse verdichten kann, aber die Traufhöhe nicht anheben sollte.

Dennoch wurde auf diesem Grundstück ein kapitales Hochhaus genehmigt, ja für die vom Investor verlangte Aufstockung von 26 auf 34 Stockwerke wurde sogar der Bebauungsplan in einem Schnellverfahren geändert. Auch andere einschränkende Auflagen wurden flink zurückgenommen, als der Grundbesitzer damit drohte, der Investor könne abspringen und damit die Stadt um eine schöne Einnahmequelle und ein Baukunstwerk von „besonderer Qualität des Entwurfs“ bringen.

Unter angeblichem Zeit- und Kostendruck peitschte man also das Verfahren durch und verzichtete auf die fälligen Standort-Untersuchungen. Hätte man nur einmal einen handelsüblichen Stadtplan aufgeschlagen, hätte man entdeckt, dass sich der siamesische Hochhauszwilling besonders tölpelhaft in die historische Sichtachse schiebt.

Der Fall ist deshalb so ärgerlich und kompliziert, weil sinnvoll platzierte Hochhäuser als Markierungen an den Zielpunkten langer, baulich indifferenter Straßenzüge durchaus sinnvoll sind, ja im Idealfall einem ganzen Quartier Charakter vermitteln können.

Selbst das zackige Gebilde aus der Designfabrik Murphy/Jahn könnte an anderen Stellen der Stadt – etwa dort, wo sich der architektonisch zugemüllte Frankfurter Ring mit den öden Häuserfolgen der Schleißheimer und der Ingolstädter Straße kreuzt – raumbildend wirken, die Monotonie aufbrechen,den benötigten Akzent setzen, ohne einem schützenswerten Ensemble in die Parade zu fahren.

Artikel aus der Süddeutschen Zeitung vom 18.02.2004

Es gibt hierzu auch einen contra-Artikel, er beurteilt das Bürgerbegehren so: "Denn natürlich besteht hier die Gefahr, dem Massengeschmack zu seinem Recht zu verhelfen. Und der bedeutet in diesem Fall: möglichst nette, möglichst putzige, möglichst gefällige Architektur. Doch davon hat München leider schon mehr als genug."

In Dresden und anderswo hat sich diese "Gefahr" als großes GLÜCK erwiesen! Wann begreift es denn endlich auch mal der letzte Kritiker?


Quelle:http://www.sueddeutsche.de/muenchen/schwerpunkt/999/26973/
Bewacher
Mitglied

Beiträge: 215


 

Gesendet: 07:35 - 10.03.2004

"Denn natürlich besteht hier die Gefahr, dem Massengeschmack zu seinem Recht zu verhelfen. Und der bedeutet in diesem Fall: möglichst nette, möglichst putzige, möglichst gefällige Architektur. Doch davon hat München leider schon mehr als genug."

Dazu gibt es auch ein bissiges Kommentar im dazugehörigen Forum der SZ:
http://www.sueddeutsche.de/app/service/forum/showflat.php?Cat=&Board=Hochhaus&Number=15009&page=0&view=collapsed&sb=5&o=&fpart=1
("Die putzigen Kommentare der SZ...")
patriot3
Stammgast

Beiträge: 51


 

Gesendet: 15:00 - 10.03.2004

Baut die Hochhäuser in einem bestimmten Gebiet und nicht überall in der Stadt verstreut.
Baut doch einfach in der Umgebung des Uptown München ein paar Hochhäuser.
Aber mindestens 150m.
Kai_2
Senior-Mitglied

Beiträge: 288


 

Gesendet: 16:00 - 10.03.2004

Zitat:
Ein funktional wie ästhetisch missglücktes Doppelhochhaus am Mittleren Ring schiebt sich in die stadträumliche Vision des Klassizismus und setzt dem Friedensmahnmal in der Maxvorstadt Hörner auf. Helmut Jahn, Lieblingsarchitekt globalistisch verwirrter Bauträger in Deutschland(...)


oh, wie wahr... schade - ich dachte, dass münchen seine einmalige silhouette schützen würde, und dann kommen solche hochhäuser!
Philipp
Mitglied

Beiträge: 168


 

Gesendet: 16:45 - 11.03.2004

München zehrt städtebaulich noch von einer Zeit als der Stadtrat von der CSU beherrscht wurde. Seit die SPD mit Ude am Ruder ist, orientiert man sich kontinuierlich am Vorbild Hannovers und baut dementsprechend.
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 17:14 - 11.03.2004

Philipp, lassen wir das Fingerzeigen auf Parteien, ich erinnere daran daß Alt-OB Kronawitter (SPD) im Hochhaus-Streit genau unsere Meinung vertritt.
Bewacher
Mitglied

Beiträge: 215


 

Gesendet: 18:14 - 11.03.2004

"lassen wir das Fingerzeigen auf Parteien, ich erinnere daran daß Alt-OB Kronawitter (SPD) im Hochhaus-Streit genau unsere Meinung vertritt."

Parteipolitik möchte ich auch nicht betreiben, was die -> Aussagen des Alt-OB Kronawitter betrifft, müsste man sie differenziert betrachten:

"München darf keine beliebige Hochhausstadt werden, sie muss ihre Unverwechselbarkeit erhalten. Diese sehen wir gefährdet."

Dies muß nicht zwingend eine vollständige Ablehnung bedeuten, sondern auch, daß man endlich einige Aspekte hinterfragt:
- Die Fassadengestaltung
- Die Standorte
- ...

"Eine starke Verdichtung durch Hochhäuser schafft auch zusätzliche Verkehrsbelastungen und damit erhebliche Umweltprobleme."

Dies hängt davon ab, ob man die HH's baut ohne das ÖPNV-Netz zu beachten - oder eher eine ÖPNV-orientierte kompakte Stadt anstrebt. Möchte man in den Ballungsgebieten auf den MIV setzen, kriegt man die Probleme nie gelöst - -> siehe HIER, vor allem der dritte Beitrag, wo eine seriöse Untersuchung zum Thema zitiert wurde.
Bewacher
Mitglied

Beiträge: 215


 

Gesendet: 06:55 - 12.03.2004

Ein Nachtrag noch - wobei ich mich gerade bei München nicht so sicher bin wie bei Frankfurt und Düsseldorf (wo eine Skyline überhaupt nicht wegzudenken ist) oder Aachen und Trier (wo die HH's auf keinen Fall hingehören!). Also ich halte ein aufgeregtes Erstellen der Höhen-Rekordlisten ohne zu beachten, wie die Bauten überhaupt aussehen (woandersher bekannt... ) für ähnlich extrem wie als wenn man sagen würde: Weltweit überall maximal XX meter und kein Deut mehr!

Dies könnte sogar nach hinten losgehen - so zum Beispiel fand ich kurios, als letztes Jahr mfi versprochen hat, ein neues Hochhaus am Essener Berliner Platz würde nicht höher als die Weststadt-Türme werden. Dies könnte bedeuten, daß man stattdessen in die Breite baut und schlechte, klotzige Proportionen schafft - ein paar m höher, dafür schlanker und eleganter wirkt manchmal besser!

Eindeutige überall gültige "Patentrezepte" gibt es nicht...
Philipp
Mitglied

Beiträge: 168


 

Gesendet: 11:32 - 12.03.2004

Ich habe nicht vor, Parteipolitik zu betreiben. Ich benenne nur die Fakten. Genausowenig habe ich Schwierigkeiten die OBs Platzeck und Jakobs (beide SPD) in Potsdam zu loben. Mir ist es ja lieb, wenn parteiübergreifend der Wunsch nach Heilung des Stadtbildes aufkommt. Nur gibt es eine Tendenz im Städtebau der letzten Jahrzehnte, wo man sagen kann, die Bayern machten es besser bzw. die CSU. Wenn man sich dagegen das rote Hessen (Kassel, Darmstadt, Frankfurt) oder Niedersachsen (Hannover, Abriß Braunschweiger Stadtschloß) gruselt es einen doch, von NRW will ich nicht reden! Tendenziell sind Linke der Moderne mehr verhaftet. Ich weiß auch nicht, warum:
z.B. Paulinerkirche in Leipzig - CDU dafür, SPD und PDS dagegen
Rekonstruktion Rathaus in Halle - SPD dagegen
z.B. Braunschweig - CDU erzwingt mit einer Stimme Mehrheit den Wiederaufbau durch die ECE, SPD ist dagegen

Potsdam bildet natürlich das leuchtende Gegenbeispiel. Doch weiter östlich geht der rote Senat in Berlin des Projekt Stadtschloß auch nicht allzu forsch an.

Aber am liebsten führe ich das Beispiel Bundestagsbeschluß 2002 zum Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses an:
CDU und FDP stimmen fast geschlossen dafür
SPD stimmt nur mit einfacher Mehrheit der Fraktion dafür
bei den Grünen stimmt die Hälfte dagegen
PDS stimmt dagegen

Je weiter links, desto größer die Ablehnung!
Vielleicht hat sich das in der jungen Generation inzwischen relativiert und ist nicht mehr vorhanden!
Bei den 40-70-jährigen ist es gewiß so.

Ich beschreibe aber nur eine Tendenz, keine Regel!
Norimbergus
Stammgast

Beiträge: 82


 

Gesendet: 17:05 - 12.03.2004

@Philipp:

Ich habe nicht vor, Parteipolitik zu betreiben. Ich benenne nur die Fakten. (...) Nur gibt es eine Tendenz im Städtebau der letzten Jahrzehnte, wo man sagen kann, die Bayern machten es besser bzw. die CSU. (...) Tendenziell sind Linke der Moderne mehr verhaftet.

Fakt ist: In Nürnberg stellte die SPD seit Kriegsende bis 1996 die stärkste Stadtratsfraktion, also auch in der Anfangszeit, als die Grundlagen für den Wiederaufbau gelegt wurden. Bis auf eine Amtszeit (1996-2002, Ludwig Scholz) stellte die SPD immer den Oberbürgermeister. Nürnberg war übrigens auch in der Weimarer Republik eine rote Hochburg mit liberalem Oberbürgermeister (Hermann Luppe). In München stellte die CSU auch nur für eine Amtszeit (Erich Kiesel, ich glaube 1978-1984) den OB. Die SPD war auch häufig die stärkste Fraktion. Augsburg hat zur Zeit auch einen SPD-OB (wie das in der Vergangeheit war weiß ich aber nicht).
In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es in Bayern sogar einmal einen SPD-Ministerpräsidenten.

Nebenbemerkung:
Auch für die Korrelation zwischen Religionszugehörigkeit und architektonischen Vorlieben, von der manchmal die Rede ist, ist Bayern ein denkbar schlechtes Beispiel. Nürnberg führte 1525 als eine der ersten großen Städte die Reformation ein. Katholische Gottesdienste gab es daraufhin nur noch in der Kirche des Deutschen Ordens. Sämtliche Klöster durften keine Novizen aufnehmen und wurden nach Aussterben der Nonnen und Mönche aufgehoben. Dennoch gab es schon damals keinen Bildersturm. Die Patrizier wollten die Kunstwerke, für die sie und ihre Vorfahren viel Geld ausgegeben hatten, nicht zerstören lassen.
Erst im neunzehnten Jahrhundert nach der Annexion Nürnbergs durch Bayern durften sich wieder Katholiken niederlassen. Inzwischen ist die Anzahl der Katholiken und der Protestanten in Nürnberg fast gleich. Das liegt v. a. am starken Zuzug aus der Oberpfalz in den letzten Jahrzehnten und den höheren Austrittsraten bei den Protestanten. Direkt nach dem Krieg hat es zwar sicher durch den Zuzug während der Industrialisierung und durch Flüchtlinge zahlreiche Katholiken gegeben, die Stadt war aber bestimmt noch sehr stark vom Protestantismus geprägt.

Ich beschreibe aber nur eine Tendenz, keine Regel!

Kann sein, daß es diese Tendenz bundesweit gibt. Um das beurteilen zu können bin ich nicht gut genug informiert. In Bayern, das Du ja explizit erwähnt hast, kann ich sie aber nicht erkennen.
Philipp
Mitglied

Beiträge: 168


 

Gesendet: 17:28 - 12.03.2004

Mag sein, daß Bayern explizit dafür ein schlechtes Beispiel ist. Trotzdem muß diese Eigenart im Wiederaufbau einen Grund haben.
Doch bin ich gerade wieder auf etwas gestoßen, was mich nicht vom Gegenteil meiner Tendenz-These überzeugt, was ganz Deutschland betrifft (gehört eigentlich in den anderen Thread):

Kulturpalast

Zentrum von Philharmonie und Unterhaltungskunst!
[22. Mai]

Seit Jahren wird über den Umbau des Kulturpalastes diskutiert, und es wurden verschiedene Teilplanungen auf den Weg gebracht. Das betrifft sowohl innere als auch äußere Veränderungen.

Aus heutiger Sicht sind alle Veränderungen nicht überzeugend und werden nur zu einer weiteren finanziellen Belastung für die Stadt führen.

Bis vor kurzem waren 2 Alternativen zur Stadthalle geplant: ein Saal im Kongreßzentrum und die Multifunktionshalle im Ostragehege (Rau-Halle). Die Halle im Kongreßzentrum wird entgegen den Stadtratsbeschlüssen so gebaut, daß sie diese Funktion nicht wahrnehmen kann; die Planungen zur Rau-Halle wurden auf Antrag der Stadtverwaltung aufgehoben.

Deshalb vertritt die SPD den Standpunkt, das jetzige Konzept des Kulturpalastes, das sowohl Philharmonie als auch Unterhaltungskunst in sich vereinigt, zu erhalten und nur Maßnahmen zur Verbesserung der Raumakustik vornehmen zu lassen.

Das erhält uns den Kulturpalast in der jetzigen Form und vermeidet einen kostspieligen Umbau.

Wir wenden uns auch gegen aufwendige äußere Erweiterungen, die möglicherweise den Kulturpalast in ein Einkaufszentrum verwandeln und in keiner Weise zur Baukultur in Dresden beitragen.


Dr. Andreas Herrmann
SPD-Fraktionsvorsitzender Dresden


Wer die Pläne der Sachsenbau-Chemnitz kennt, kann sich sich bei soviel Ignoranz nur die Haare raufen. Den jetzigen Zustand findet dieser Mann wohl für die Dresdner Baukultur zuträglicher.

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