Zwei mal saure Dauerwelle. Einmal schwarz, einmal blond. (Noch Fragen?) Die beiden sechzehnjährigen Mädchen streiten sich im deutschen Privatfernsehen vor einem riesigen Publikum über die weltbewegende Frage, ob man sich als deutsche Frau lieber an türkische, oder doch besser an deutsche Männer halten solle.
„Deutsche Jungs sehen scheiße aus“
„Deutsche Jungs sehen scheiße aus“, sagt die Dunkelhaarige. „Du bist vollkommen oberflächlich“, schimpft die andere zurück, hält sich dabei den gekrümmten Finger der linken Hand ins Gesicht um eine Hakennase nachzustellen, und entlarvt sich spätestens jetzt als mindestens genau so klischeeverhaftet. Die Zuschauer lachen. Eine Frau aus dem Publikum meldet sich zu Wort: „Finger wech von die Türken!“ Mehr sagt sie nicht. Keine Begründung, kein bekräftigendes Beispiel, kein gar nichts. Und trotzdem erntet sie eine gehörige Portion Beifall, bevor sie sich selbstzufrieden zurück in ihren Stuhl fallen lässt.
„Ich werde jeden Tag geschlagen“
Der Talkmaster begrüßt einen neuen Studiogast. Ein junger Türke, der sich an der „Diskussion“ beteiligen soll und außer „Ey krass, ey“ und „Ey, ich schwör beim Leben meiner Mutter, Mann“ eigentlich das Gleiche sagt, wie die anderen Talkgäste: Nichts auch nur annähernd Konstruktives. Trotzdem fällt das Publikum über ihn her und penetriert ihn mit vollkommen gehaltlosen Vorurteilen und Beschimpfungen, die jeden normal Begabten ernsthaft vom Glauben an die Menschheit abfallen lassen könnten, und die man hier auf keinen Fall wortwörtlich wiedergeben sollte. Kurz: Aggression erzeugt Gegenaggression und das verbale Massaker nimmt seinen unsachlichen Verlauf.
Gleiche Zeit, anderer Sender. Dieses Mal keine Talkshow im ursprünglichen Sinne, sondern eine dieser Pseudo-Psycho-Sendungen, in denen gestellte Probleme von einer aufgesetzt verständnisvollen Fernsehpsychologin gelöst werden sollen. Eine Mutter versucht, ihre deutsche Tochter von der Heirat mit einem Türken abzubringen und hat auch gleich ein lebendes Gegenargument mit ins Studio gebracht. Eine von Kopf bis Fuß verschleierte Deutsche, die am eigenen Beispiel von der Ehe mit einem Moslem abraten will: „Ich werde jeden Tag geschlagen, die Versprechungen aus der Zeit vor der Ehe waren nicht mehr als eine Masche und ich möchte jede deutsche Frau davor warnen, sich auf diese fremde Kultur einzulassen.“
Eine offensichtlich einstudierte Litanei. Auch hier wieder: Der zukünftige Ehemann der heiratswilligen Tochter trägt keine zwei zusammenhängenden Sätze bei und macht den Eindruck, als würde er gar nicht verstehen, worum es in der Diskussion eigentlich geht.
„Schlampen wie disch leg isch jeden Tag flach, Mann!?
Das Prinzip der meisten „daily Talks“ ist immer das Gleiche: Menschen werden vor laufender Kamera aufeinander gehetzt und fallen übereinander her. Je blutiger, desto besser. Je weniger Niveau, je profaner die Themen und je angriffslustiger die Diskutierenden, desto höher die Einschaltquoten. „Sollen sie doch“, könnte man denken. „Man darf ja schließlich niemandem vorschreiben, womit er seine Zeit verschwendet.“ Stimmt ja auch. Unsere Demokratie gewährleistet uns das Recht auf freie Meinungsäußerung, und wenn es eben Menschen gibt, die ihre Konflikte unbedingt vor einem Millionenpublikum austragen wollen, dann sollen sie das machen.
Gefährlich wird das Ganze allerdings, wenn dabei gezielt Randgruppen an den Pranger gestellt und im Dienste der Quote einer erbarmungslosen Meute zum Fraß vorgeworfen werden. Es drängt sich der Eindruck auf, dass sich die Produzenten nämlich aus voller Berechnung genau solche Türken ins Studio holen, die eine geeignete Angriffsfläche für die haltlosen Aggressionen des Publikums zu bieten haben. „Hey krass Mann, solche Schlampen wie disch leg isch jeden Tag flach, Mann!“
„Türken nehmen uns die Arbeitsplätze weg“
„Erkan & Stefan“ für Arme, und zum Glück wenigstens alles andere als überzeugend. Zumindest in meinem Umfeld drücken sich die Türken nämlich ganz anders aus. Die sagen Sachen wie „Scheiße, ich hab die letzte Klausur vergeigt“ oder „Hey, lass uns doch mal wieder gemeinsam einen Kaffee trinken gehen“, und die deutsch-türkischen Liebesbeziehungen die ich kenne, sind auch nicht mehr oder weniger glücklich als alle anderen. Zu deutsch: Basierend auf meinen eigenen Erfahrungen halte ich den „Ey-krass-Mann-alle-deutschen-Frauen-Sind-Schlampen“-Türken für alles andere als repräsentativ!
Ein Teufelskreis: In diesem Fall nähren sich die Talkshows vom allgemeinen Misstrauen gegenüber einer ethnischen Minderheit, katalysieren dabei negative Gefühle und schaffen gleichzeitig fruchtbaren Nährboden für weitere Vorurteile. Das Prinzip ist simpel, scheint sich aber dennoch auszuzahlen. Die Türkenthematik zieht sich wie ein rotes Tuch durch die deutsche Talkshowlandschaft, der Zuschauer wird mit Botschaften wie „Türken nehmen uns die Arbeitsplätze weg und schlagen unsere Töchter“ versorgt, und ganz nebenbei mit einem Feindbild gefüttert, das ihm die Produzenten mit einem Apfel im Mund und Petersilie in den Ohren quasi direkt neben die Fernbedienung servieren.
„Ficken“ wird ge-oooops-t
Mein persönlicher Standpunkt: Medien machen Meinung, und deswegen liegt es auch in deren Verantwortung, diese Macht nicht auf Kosten gesellschaftlicher Minderheiten zu missbrauchen. Es ist die eine Sache, Volksverdummung im großen Stil zu betreiben, aber es ist einfach nur unverantwortlich, aus reiner Profitgier gefährliche Vorurteile zu propagieren, die in ihrer Konsequenz sehr wohl zu Lasten des Allgemeinwohls gehen.
Da allem Anschein nach ohnehin keine echte Aufklärung betrieben werden soll, wäre es meiner Meinung nach vollkommen gerechtfertigt, gerade bei dieser brisanten Problematik nach Zensur zu schreien! Meinungsfreiheit ist im Grundsatz eine erstrebendwerte Maxime, aber nur, wenn es dabei auch tatsächlich um fundierte Meinungen, und nicht nur um stumpfsinniges, unreflektiertes Gedankengut geht. Jedes „ficken“ wird mit Rücksicht auf die Zuschauer immerhin mit einem „Oooops“ überblendet, aber „Finger wech von die Türken!“ ist anscheinend vollkommen gesellschaftsfähig? Aua.
Schließlich und endlich noch ein Denkanstoß, der die Tragweite der Problematik verdeutlichen sollte: Wie würden wohl die deutsche Reaktionen auf einen Satz wie „Alle Juden sind doof!“ aussehen? Eben.
Autorin: Mirjam-Magdalena Bohusch
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