Die Europäische Union will den Bau von Atomreaktoren in Europa fördern und richtet sich damit direkt gegen Länder wie Deutschland, die am Ausstieg arbeiten.
Brüssel (dts Nachrichtenagentur) – Die EU-Kommission will offenbar den Bau von Atommeilern vorantreiben: Die EU müsse ihre technologische Vorherrschaft im Nuklearsektor verteidigen, heißt es laut „Spiegel Online“ im Entwurf für ein Strategiepapier, das am Mittwoch von den für die Energieunion zuständigen Kommissaren verabschiedet und dann dem EU-Parlament vorgelegt werden soll. Demnach sollen die EU-Mitgliedsstaaten bei der Erforschung, Entwicklung, Finanzierung und beim Bau neuer innovativer Reaktoren stärker kooperieren. In dem Papier werde unter anderem vorgeschlagen, die Rahmenbedingungen für Investitionen zu verbessern.
EU will Bau von Mini-Atomreaktoren vorantreiben
Zudem soll der Bau von flexiblen Mini-Atomreaktoren vorangetrieben werden, heißt es in dem Bericht weiter. Spätestens im Jahr 2030 solle ein solcher Meiler in Europa im Einsatz sein. Die Grünen kritisierten die Pläne der EU-Kommission scharf: „Die hochgefährliche Atomkraft darf keine Subventionen erhalten“, sagte der Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer. „Wir erwarten von Sigmar Gabriel deutliche Worte gegen diese absurden Atompläne der EU.“
Kommentar:
Mir ist es bis heute unbegreiflich, wie man eine Technologie genehmigen konnte, deren Gesamtkonzept unschlüssig ist. Atomare Abfälle strahlen – je nach Isotop – zehntausende oder gar Millionen Jahre. Das sind schier unfassbare Zeitspannen, in denen der Atommüll „bemuttert“ werden will und gigantische Kosten für ein paar Jahre „billigen“ Strom.
Atomkraft ist weder günstig noch sauber
Das Versprechen der hohen Sicherheit – mit einem Störfall alle paar Millionen Jahre – hat die Atomkraft nicht einlösen können. Schon Tschernobyl – wo das Schlimmste noch verhindert werden konnte – hat uns vor Augen geführt, welches Gefahrenpotential die Atomkraft birgt. Hätten sich nicht tausende Helfer geopfert, wäre heute halb Europa verseucht.
Ende der Ausreden
Der Westen war bemüht, den GAU von Tschernobyl als typisches Problem der unsicheren, russischen Reaktoren abzustempeln und möglichst schnell zur Tagesordnung überzugehen. Aber spätestens seit Fukushima ist klar: das kann überall passieren! Zahlreiche Störfälle in europäischen Reaktoren zeichnen ein klares Bild der Bedrohung. Ein System, das bei einer Fehlfunktion nicht in einen sicheren Zustand zurückfällt, ist und bleibt eine sicherheitstechnische Absurdität.
Ausstieg: Lieber heute als Morgen
Deutschland ist ein kleines Land. Eine große Reaktorkatastrophe würde das Land ins Chaos stürzen und große Teil des Landes für immer unbewohnbar machen. Der deutsche Ausstieg ist keine Panikreaktion, sondern der einzig logische Schluss aus den vorliegenden Informationen.
Europa braucht AKW-Regeln
Wenn Europa sich nicht auf eine Energiewende einigen kann, sollte es zumindest Regeln für den Bau von Atomkraftwerken geben, die die möglichen GAU-Folgen für die Nachbarländer begrenzen. So könnte man bspw. einen Mindestabstand zu atomfreien bzw. ausstiegswilligen Nachbarn definieren, der neben der reinen Entfernung topographische und meteorologische Besonderheit berücksichtigt. Zusätzlich könnte man den Bau von AKWs mit finanziellen Auflagen belegen. Nur wer in der Lage ist, die Folgen eines GAUs – für sich und seine Nachbarn – zu schultern, darf bauen. Das derzeitige gemeinsame Tragen des Risikos gleicht einer massiven Subvention.
Meinungsbild:
Bundesumweltministerin nennt Atomkraft-Pläne der EU unverantwortlich
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat die Pläne der EU-Kommission zur Stärkung der Atomkraft in Europa scharf kritisiert: „Das ist eine verrückte und unverantwortliche Idee“, sagte Hendricks der „Rheinischen Post“ (Mittwochsausgabe). „Zu glauben, man könne mit noch mehr Atomkraft das Klima retten, ist ein Irrtum“, so die Umweltministerin. „Klimaschutz braucht die Wende zu erneuerbaren Energien, kein Festhalten an einer veralteten und zudem kostspieligen Technologie, mit deren Nutzung wir viele Generationen nach uns unumkehrbar belasten“, sagte Hendricks.
Die Ministerin hält sich zurzeit in Japan auf, um sich dort über die Situation nach der Atomkatastrophe von Fukushima zu informieren. Zuvor hatte „Spiegel Online“ berichtet, die EU-Kommission wolle laut eines Strategiepapiers die europäische Nukleartechnologie stärken. Die Mitgliedstaaten sollen demnach bei der Erforschung, Entwicklung, Finanzierung und beim Bau neuer, innovativer Reaktoren stärker kooperieren.
Trittin nennt Atompläne aus Brüssel „Blödsinn unfassbaren Ausmaßes“
Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Der Grünen-Politiker Jürgen Trittin hat Überlegungen aus Brüssel für einen Ausbau der Atomenergie als „Blödsinn unfassbaren Ausmaßes“ zurückgewiesen. „Rückwärts immer, vorwärts nimmer – das ist die Energiepolitik der EU-Kommission“, sagte Trittin der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Mittwoch). Die Entwicklung und der Bau neuer Atomkraftwerke sei ökonomisch, ökologisch und sicherheitspolitisch eine „Geisterfahrt“, die Deutschland stoppen müsse.
Atomkraft sei und bleibe eine Hochrisikotechnologie, aus der die Welt schnell und endgültig aussteigen müsse. Besonders in Zeiten steigender Terrorgefahr nannte es der frühere Bundesumweltminister „ein gefährliches Spiel mit dem Feuer, mit spaltbarem Material zu hantieren“. Das habe die ganze Welt inzwischen begriffen, nur die EU-Kommission verharre „in der energiepolitischen Steinzeit“. Der Strompreis nähert sich nach den Worten Trittins inzwischen zwei Cent pro Kilowattstunde. Gleichzeitig setze die die EU-Kommission auf eine Technologie, die Milliardensubventionen an Steuergelder verschlinge. Allein der Bau von Hinkley Point C in Großbritannien werde über 35 Jahre dauern und über 22 Milliarden Subventionen kosten. „Der richtige Weg heißt erneuerbare Energien. Am letzten Wochenende haben diese in Deutschland erstmals den kompletten Strombedarf gedeckt“, sagte der Grünen-Bundestagsabgeordnete. Zuvor war der Entwurf eines Papiers der Forschungsabteilung der EU-Kommission bekannt geworden. Darin werden als mögliche Forschungsschwerpunkte die Entwicklung kleiner und flexibler Mini-Atomkraftwerke genannt. Atomkraft sei einer von mehreren möglichen Forschungsschwerpunkten, hieß es als Reaktion auf Proteste.
Sebastian Fiebiger
Redaktion