„Knapp 500 Medikamente sind derzeit von Lieferengpässen betroffen“, sagte der Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände, Mathias Arnold, der Funke-Mediengruppe.
Dies seien nur die freiwilligen Meldungen der Hersteller für rezeptpflichtige, versorgungskritische Wirkstoffe. „Der wahre Umfang des Problems dürfte noch viel größer sein. Betroffen sind viele wichtige Medikamente von Antibiotika über Insuline bis zu Schmerz- und Betäubungsmitteln.“
Lieferengpassgesetz bringt keine Entlastung
„Das im vorigen Jahr von der Ampel-Koalition beschlossene Lieferengpassgesetz (ALBVVG) bringt bisher leider keine spürbare Entlastung für die Apotheken“, resümierte Arnold. Der Trend zu Lieferengpässen gehe weiter nach oben und „wird in der Herbst- und Winterzeit durch höhere Nachfrage aufgrund von Infektionen oft noch saisonal verstärkt“, so Arnold. Bei vielen Apotheken bestehe deswegen in diesen Tagen die Sorge, die Patienten in der beginnenden Erkältungssaison nicht jederzeit mit allen notwendigen Medikamenten zu versorgen.
Auswirkungen auf Ärzte und Patienten
Von den Problemen, die durch Lieferengpässe entstünden, seien alle behandelnden Ärzte betroffen, in Praxen genauso wie in Krankenhäusern, sagte die 1. Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna. „Patienten müssen häufiger auf andere Medikamente umgestellt werden, wenn das gewohnte Arzneimittel nicht verfügbar ist. Eine solche Umgewöhnung ist in vielen Fällen unproblematisch, kann aber auch – je nach Zusammensetzung des entsprechenden Präparats – vereinzelt zu Beschwerden führen.“
Für die behandelnden Ärzte gehe eine solche Umstellung immer mit mehr Beratung einher, sagte Johna: „Sie müssen dabei auch berücksichtigen, welche Wechselwirkungen zu anderen Präparaten entstehen können, die der Patienten zusätzlich noch einnehmen muss.“ Bei einer größeren Erkältungswelle sei im kommenden Herbst und Winter zu befürchten, „dass erneut pädiatrische Medikamente insbesondere für kleine Kinder, also bestimmte Tropfen und Zäpfchen, knapp werden könnten“. Im Winter 2022/2023 waren Fiebersäfte für Kinder teilweise nicht mehr zu haben.
Strukturelles Problem laut Herstellerverband
Der Herstellerverband Pharma Deutschland sieht in den Lieferengpässen ein „strukturelles Problem“. Wesentliche Gründe dafür seien „die überdrehte und komplexe Preisregulation bei gleichzeitigem stetig steigenden Kostendruck auf die Hersteller. Dies führte zu einer Konzentration auf wenige Herstell- und Produktionsbetriebe und damit zu anfälligen Lieferketten“, sagte der Verbandssprecher Hannes Hönemann
Die anhaltenden Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind ein alarmierendes Signal für das deutsche Gesundheitssystem. Trotz des vor einem Jahr verabschiedeten Lieferengpassgesetzes (ALBVVG) scheint sich die Situation nicht verbessert zu haben – im Gegenteil, sie droht sich weiter zu verschärfen.
Besonders besorgniserregend ist, dass selbst lebenswichtige Medikamente wie Antibiotika und Insulin von den Engpässen betroffen sind. Das stellt nicht nur die Apotheken vor große Herausforderungen, sondern gefährdet potenziell die Gesundheit vieler Patienten.
Die Warnungen von Ärzten und Apothekern sollten von der Politik ernst genommen werden. Das ALBVVG hat offensichtlich nicht die erhoffte Wirkung erzielt. Es muss dringend überarbeitet und verschärft werden, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Langfristig muss das strukturelle Problem angegangen werden. Die Abhängigkeit von wenigen Produzenten und Produktionsstandorten macht das System verwundbar. Eine Diversifizierung der Lieferketten und Anreize für eine Produktion in Deutschland oder Europa könnten hier Abhilfe schaffen.
Die kommende Erkältungssaison wird zum Stresstest für das System. Es bleibt zu hoffen, dass kurzfristig Lösungen gefunden werden, um zumindest die Versorgung mit den wichtigsten Medikamenten sicherzustellen. Gleichzeitig muss die Politik jetzt handeln, um für die Zukunft besser gerüstet zu sein.
DTS Nachrichtenagentur
Sebastian Fiebiger
Redaktion