Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Der Bundesnachrichtendienst (BND) hat wegen des Krieges gegen die Ukraine seinen Russland-Bereich personell und technisch aufgerüstet. Das sagte dessen Präsident Bruno Kahl der „Welt am Sonntag“. Nach Erkenntnissen seiner Behörde ging Putin tatsächlich davon aus, dass der Krieg gegen die Ukraine nur wenige Tage dauern und mit einem Regimewechsel in Kiew enden würde.
Dennoch liegen dem BND laut Kahl derzeit keine Hinweise darauf vor, dass Russlands Präsident Putin in absehbarer Zeit seine Macht verlieren könnte. Kahl sagte der Zeitung, dass seit der von Kanzler Olaf Scholz (SPD) ausgerufenen Zeitenwende anders auf den Auslandsnachrichtendienst geschaut werde. Früher sei meist nur dann über den BND berichtet worden, wenn es Pannen oder Skandale gegeben habe. Das habe sich gewandelt. „Wir sind ein normaler Bestandteil des Regierungsalltags und kein Fremdkörper – wie in allen Demokratien. Es ist unverzichtbar zu wissen, was unsere Gegner im Schilde führen“, so der BND-Präsident.
Das Agieren des Kremls habe der Nachrichtendienst immer sehr genau verfolgt und gewusst, dass Putin sich nicht scheuen werde, zur Durchsetzung seiner Ziele Gewalt anzuwenden, sagte Kahl. Der russische Überfall auf die Ukraine sei daher nicht unerwartet gekommen. Ein Hauptaugenmerk legt der deutsche Auslandsnachrichtendienst derzeit laut dem Behördenleiter auf die hybride Kriegsführung des Kremls. Dazu zählen Cyberattacken und Desinformationskampagnen, deren Ursprung der Dienst aufklären will. Der BND-Präsident warnte, wer Forderungen nach einer Inbetriebnahme der Ostseepipeline Nord Stream 2 unterstütze, mache sich zum Werkzeug russischer Propaganda. Seine Behörde beschäftige sich aber nicht nur mit Russland, sagte Kahl. So lägen beispielsweise aus Afghanistan Erkenntnisse vor, wonach die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) wieder an Stärke gewinne.
„Die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus ist nach wie vor groß“, warnte der BND-Chef. Angesichts der angespannten Lage regte der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries eine Debatte über die Rolle der Nachrichtendienste in der Zeitenwende an. „Wenn wir es ernst meinen mit der Verteidigung von Demokratie und Freiheit in Deutschland und Europa, dann brauchen wir einen grundlegenden Mentalitätswechsel in Bezug auf die Bedeutung unserer Nachrichtendienste“, sagte er der „Welt am Sonntag“. De Vries gehört dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundestages an, das die Arbeit der Nachrichtendienste überwacht. Auch dessen Vorsitzender, der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz, hob hervor, dass die aktuellen Entwicklungen klar gemacht hätten, „wie wichtig verlässliche Einschätzungen der Nachrichtendienste sind“. Die Ampel-Koalition gehe weitere strukturelle Reformen der Dienste an, sagte von Notz.