Ankara (dts Nachrichtenagentur) – Die Türkei will spätestens in sechs Jahren Mitglied der Europäischen Union werden. „Die türkische Regierung will der EU vor dem Jahr 2023 beitreten“, sagte der türkische EU-Botschafter Selim Yenel der „Welt“. Er verwies darauf, dass die türkische Republik im Jahr 2023 hundert Jahre alt werde.
„Es wäre die Krönung für mein Land, dann Mitglied der Europäischen Union zu sein“, sagte der türkische Spitzendiplomat. Sein Land strebe eine „vollwertige Mitgliedschaft“ an. Yenel weiter: „Für uns wäre es langfristig nicht akzeptabel, nicht zur EU zu gehören. Der EU-Beitritt ist sehr wichtig für uns“.
EU ist kein christlicher Club
Eine EU-Mitgliedschaft würde nach Angaben Yenels die Standards in der Türkei in „allen Bereichen“, also in politischen und wirtschaftlichen Fragen, aber auch beim Verbraucher- und Gesundheitsschutz, erhöhen. Zudem würde Ankara „Teil einer starken Gemeinschaft“ werden, so Yenel: „Dies wäre übrigens auch eine wichtige Nachricht an viele Länder außerhalb der EU, die deutlich machte, dass die Europäische Union kein christlicher Club ist und dass ihr auch Länder angehören können, in denen nicht der christliche Glaube dominiert“.
Offene Punkte
Laut Yenel ist die Türkei im Rahmen der Beitrittsverhandlungen bereit, unverzüglich über die Eröffnung weiterer wichtiger Kapitel, wie Grundrechte (Kapitel 23) oder Justiz (Kapitel 24) zu sprechen. „Aber das klappt nicht, weil Zypern die Öffnung dieser Kapitel blockiert“. Mit Blick auf die geplante Visaliberalisierung forderte Yenel erstmals Garantien von Seiten der EU: „Wir haben große Zweifel, dass die EU die Visumspflicht für Türken wirklich aufheben wird, wenn wir alle dazu notwendigen 72 Bedingungen erfüllt haben. Wir wollen jetzt von der EU Garantien, dass sich Brüssel auch wirklich an die Absprachen hält. Wir müssen sicher sein können, dass alle EU-Institutionen einem visumfreien Reiseverkehr für türkische Bürger am Ende auch zustimmen“.
Deutschland muss Visafreiheit unterstützen
Als Grund für die geforderten Garantien nannte Yenel: „Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die EU-Regierungen oder das Europäische Parlament sich einer Visaliberalisierung widersetzen werden, obwohl die Europäische Kommission zuvor ihre Zustimmung gegeben hat, weil wir alle Bedingungen erfüllt haben“. Damit dies nicht passiere „müssen uns Deutschland, aber auch ein paar andere Staaten, mit allen Kräften bei der Visaliberalisierung unterstützen“. Yenel zeigt sich zuversichtlich, dass Ankara und Brüssel im Streit über die Änderung der türkischen Antiterror-Gesetze „einen Ausweg finden können“.
Flüchtlingsabkommen wird nicht scheitern
„Die Verhandlungen mit der EU-Kommission sind auf einem guten Weg“, sagte der türkische Verhandlungsführer in Brüssel. Eine visumfreie Einreise für Türken ab Oktober sei immer noch möglich, sie müsse aber in jedem Fall noch in diesem Jahr kommen: „2017 wäre nicht akzeptabel“. Trotz aller Schwierigkeiten erwartet Yenel, dass das Flüchtlingsabkommen halten wird: „Ich glaube nicht, dass das Flüchtlingsabkommen zwischen der EU und der Türkei scheitern wird. Wir werden einen Ausweg finden, weil das Abkommen für beide Seiten sehr wichtig ist“.
Merkel muss Türkei besuchen
Yenel forderte nach dem gescheiterten Putschversuch Kanzlerin Angela Merkel und weitere europäische Spitzenpolitiker auf, unverzüglich nach Ankara zu reisen: „Die Türkei erwartet, dass Bundeskanzlerin Merkel, EU-Ratspräsident Tusk, der Präsident der Europäischen Kommission Juncker oder die slowakische Ratspräsidentschaft unser Land jetzt besuchen. Sie würden damit die Demokratie in der Türkei unterstützen und zeigen, dass sie verstanden haben, dass die Demokratie bewahrt wurde“.
Kommentar:
Erschreckend, wie weit sich die türkische Spitzenpolitik schon von der Realität entfernt hat. Das Land ist auf einem strammen Kurs in Richtung eines islamischen Staates. Die Re-Islamisierung der Türkei gehört zu den strategischen Zielen der Regierungspartei AKP. Und egal, wie opportunistisch – in Hinblick auf den Flüchtlingsdeal – einige Politiker agieren mögen, eine zeitnahe EU-Aufnahme der Türkei ist mit den meisten europäischen Ländern nicht zu machen.
Schafft Erdogan eine Opferlegende?
Der schleichende Demokratieabbau, die Kastration der türkischen Presse und die Säuberungsaktionen nach dem misslungenen Putschversuch gegen die Regierung unter Erdogan haben die Türkei so weit von den Werten der Europäischen Union entfernt, dass eine Mitgliedschaft in weite Ferne gerückt ist. Was man jetzt allenfalls kreiert, ist eine „Opferlegende“, in der sich die türkische Politik scheinbar um Annäherung bemüht und der Westen sie vermeintlich grundlos ablehnt – eine nach innen gerichtete „Schein-Außenpolitik“, die den Graben zum Westen vertieft.
Was Europa tun muss
Der Westen muss die Option auf einen Beitritt offen halten, aber unmissverständlich klar machen, dass es bei den Bedingungen für die Aufnahme keine Kompromisse geben kann. Außerdem täte man gut daran, sich aus den bestehenden Abhängigkeiten zu befreien und endlich eine europäische Lösung für die Flüchtlingskrise zu finden. Dabei wird sich insbesondere Deutschland kompromissbereit zeigen müssen, denn der „Merkelkurs“ findet in der EU inzwischen keine Mehrheiten mehr.
Abzug der Nuklearwaffen?
Es gibt Gerüchte, die USA würden ihre Nuklearwaffen aus der Türkei abziehen und nach Rumänien verlegen. Auch wenn es dafür bislang keine seriöse Quelle gibt, würde ich diesen Schritt befürworten.
die türkei ist in 20 jahren noch kein mitglied. wir können keinen diktatorischen staat mit der todesstrafe in der eu brauchen
Die Entwicklungen der letzten Zeit haben eine Mitgliedschaft der Tuerkei in der EU unwahrscheinlich und wenig wuenschenswert gemacht. Der saekulare Staat Kemal Pashas scheint in Gefahr, von einer nicht ganz kosheren Radikalisierung des Islam uebernommen zu werden – wobei auch einige offensichtliche Kollaborationen mit ISIL (wie z.B. Oelhandel aus IS besetzten Gebieten, sowie Logistik ueber tuerkisches Gebiet) einiges zu denken geben. Dabei liegt auch der Verdacht einer Anti-Shia-Verbindung mit Saudi-Arabien nahe, und Herrn Erdogans Aufstieg zum Quasi-Sultan ist gleichfalls sehr bedenklich.
Im Zusammenhag mit den immer staerker hervorkommenden tuerkischen Regional-interessen wird selbst die NATO-Mitgliedschaft fragwuerdig: fuer Europa, seit dem Wegfall des alten Kalten-Krieg-„Feindes“ Sovietunion, ohnehin hinfaellig, wird selbst die Verlaesslichkeit fuer die ueblichen US-Manipulationen fraglich – Washington ist selbst viel zu viel in Kriege und Buergerkriege hineinmanipuliert worden, weil andere dort unten (vor allem in der Wueste) sie fuer ihre eigenen Spiuelchen benutzt haben – und das geht von Iraq bis nach Libyen und Syrien.