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Autor Mitteilung
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 02:39 - 27.02.2004

Dieser Artikel ist so wichtig daß er direkt ins Forum gehört, er ist eine unmittelbare Reaktion auf die Kritik des Herrn Adam in der NZZ:

Finger weg von den harten Drogen!

Der Fall Paulinerkirche: Warum wir manchmal historische Bauwerke rekonstruieren müssen
von Hans Kollhoff


Man hat sich an die Klischees in der deutschen Architektur-Berichterstattung gewöhnt, wenn es um ein so heikles städtebauliches Thema wie den Wiederaufbau der Leipziger Paulinerkirche geht. Jetzt hat sich auch die "Neue Zürcher Zeitung" der Debatte angenommen - mit denselben Stereotypen. Sie fordern zum Widerspruch. Wann wurde in der Schweiz die letzte Kirche gesprengt? Nicht irgendeine, sagen wir eine der ältesten Kirchen mitten in der Stadt, etwa das Zürcher Fraumünster.


Die Sprengung der Leipziger Paulinerkirche war in der Tat so ungeheuerlich, dass uns im Erläuterungsbericht unseres Wettbewerbsbeitrages die Freud'sche Fehlleistung unterlaufen ist, von Kriegszerstörung zu sprechen - und darüber hat man sich in der Jury lustig gemacht. Gerade 20 Jahre nach einem grausamen Krieg, der im benachbarten Dresden die gesamte Innenstadt in Trümmer gelegt hat, wurde in Leipzig, politisch-ideologisch motiviert, unter den Augen der fassungslosen Bevölkerung, die Paulinerkirche gesprengt. Hier geht es also nicht um die Frage: Wie modern sollen wir bauen? Und was ist das eigentlich, modern? Sondern es geht primär - wenn nicht ausschließlich - um die Wiedergutmachung eines verbrecherischen Aktes. Und das gelingt weder mit "streng orthogonalen Konzepten" noch mit einer "Reminiszenz an den Giebel der Paulinerkirche".


Die "Rekonstruktionsmanie" die die Kritiker derzeit in Deutschland "grassieren" sehen, kommt ja nicht von ungefähr. Die Physiognomien unserer vom Kriege lädierten Städte wurden ein halbes Jahrhundert lang mit avancierten planerischen Methoden und fortschrittlichster Technik einem Zerrbild, einer Karikatur von "Stadt" zugeführt, die sich von Flensburg bis Lörrach gleicht. Unter unseren Augen hauchen diese Wunderwerke einer europäischen Stadtkultur im Urban Entertainmentcenter einer Geiz-Ist-Geil-Gesellschaft ihr Leben aus. Das haben inzwischen alle erkannt, mit Ausnahme der Architekten und einiger Hardliner unter den Intellektuellen, die mit ihrer Wahrhaftigkeit immer noch die Welt beglücken wollen. Offenbar dauert es ein halbes Jahrhundert, bis das Verlusterlebnis dort durchschlägt, wo es um die Frage der persönlichen Herkunft und des eigenen Selbstverständnisses geht, um Erinnerung und Heimat, die eine geistige, aber auch eine physische Eigenart voraussetzen.

(Artikel gekürzt, Beispiel Frauenkirche Dresden...)
In zehn Jahren wird sich keiner mehr die Frage stellen, ob es sich hier um ein Original handelt oder eine Kopie, man wird staunend zur Kuppel hochschauen und den Bürgern mit ihren Baumeistern dankbar sein, die dieses Werk aufgerichtet haben.


Woher kommt nur die Angst der Architekturkritik, in Leipzig könnte tatsächlich die Paulinerkirche wiedererstehen? Dabei werden die abwegigsten Argumente ins Feld geführt: Ein Turm könne den anderen "bedrängen", ihm die Schau stehlen, und dabei wird das Hochhaus von Hermann Henselmann in Schutz genommen, das gerade von einem stolzen Universitätsgebäude in ein trauriges Bürogebäude verwandelt wurde und dabei seinen Restcharme durch grobschlächtige Natursteinplattierung eingebüßt hat. Dieses "Wahrzeichen" ist nach der Umnutzung und der Renovierung keines mehr, zumindest nicht für die Universität.

Und auch das Institutsgebäude, das aus dem ehemaligen Universitätshauptgebäude hervorgehen soll, ein ehemaliger Schinkel-Bau, hat in Zukunft keinerlei repräsentative Funktionen zu erfüllen und darf getrost als einfaches städtisches Haus in Erscheinung treten.


Zu guter Letzt, und das ist für ein zeitgenössisches Architekturverständnis von Belang, geht es um die "gestalterische Phantasie", die mir ein Kritiker abspricht, weil mein vorgeschlagener Turm meinen Hochhäusern am Potsdamer Platz und in Frankfurt am Main verwandt ist. Die schönsten Orte der schönsten Städte dieser Welt zeichnen sich durch ein Höchstmaß an Konvention aus, wobei alle Phantasie auf die Charakterisierung im Detail, auf die Ornamentierung gerichtet war. Diesen subtilen Abweichungen von der Norm kann und will sich der medial konditionierte Zeitgenosse nicht mehr aussetzen, er verlangt nach härteren Drogen, nach Riesenornamenten, nach ganz eindeutigen, "unverwechselbaren" Produkten einer zeitgenössischen gestalterischen "Phantasie", die über Nacht, wie wir wissen, im Strom des Immergleichen weggetragen werden.


Den Unterschied wahrzunehmen bedarf es aber der Bereitschaft zum zweiten Blick. Natürlich sehen in ganz Europa etwa die städtischen Wohnhäuser fast alle gleich aus - und auf den ersten Blick meist banal. Wer aber bereit ist, genauer hinzuschauen, oder wer sogar die Sehnsucht verspürt, jenseits der heftigsten Sinnesreize die nuancierten Eigenarten der Oberflächen und Konturen auszukosten, die ein Wohnhaus in Barcelona von einem in London oder Zürich unterscheidet, bei gleichem Grund- und Aufrisstypus, bei gleicher Geschossigkeit und Dachform, den beschleicht vielleicht eine Ahnung, was die Menschen in dem, was unser Berufsstand ihnen liefert, so schmerzlich vermissen . Wir sind in unserer Kunstbesessenheit weder zu einer Konvention bereit, die sich aus den Orten ableitet, die wir verändern, noch kümmern uns die Sehnsüchte der Menschen, für die wir bauen. Und wir sind auch nicht bescheiden und geduldig genug, die Oberfläche der Häuser als Entwurfsaufgabe ernst zu nehmen, durch Charakterisierung und Stilisierung im Detail.


Deshalb und nur deshalb werden wir in ramponierten Städten mit einer bürgerlichen Form des Widerstandes konfrontiert, die mancher Kritiker dann "Rekonstruktionsmanie" nennt. Vielleicht sollte jeder junge Architekt, der die Hochschule verlässt, erst einmal ein gutes altes Gebäude wiederaufbauen oder wenigstens eines renovieren, bevor er auf die Gesellschaft losgelassen wird.


Der Geist, dem die Leipziger Sprengung zu verdanken ist, dieser alte utopistische Geist, der recht eigentlich ein moderner und nicht auf die ehemalige DDR beschränkt war, hat in all seinen Facetten auch die jüngste Juryentscheidung zur Paulinerkirche nicht unwesentlich geprägt. Sollte man sich nicht verneigen dürfen vor einer Zeit, die nicht die eigene ist - und das nicht einmal aus Verehrung der künstlerischen Potenz ihrer Protagonisten, sondern vielmehr wegen der überwältigenden Kraft und atemberaubenden Verfeinerung aus Konvention? Und wenn uns das mit Einzelleistungen nicht gelingt, nicht gelingen kann, ist dann im Verlustfall nicht der Wiederaufbau die letzte, noble Konsequenz?


Artikel erschienen am 27. Feb 2004
Die Welt
fonti
Stammgast

Beiträge: 88


 

Gesendet: 17:52 - 27.02.2004

beeindruckender Artikel
Finde erstaunlich und auch bemerkenswert, dass sich Herr Kollhoff nicht von den anderen Architekten abgrenzt, sondern auch Fehler eingesteht (obwohl er sicherlich zu den besseren und bürgernäheren gehört, weshalb ich diese Fehler auch nicht bei ihm sehe), z.B.:

"Und wir sind auch nicht bescheiden und geduldig genug, die Oberfläche der Häuser als Entwurfsaufgabe ernst zu nehmen"

oder

"den beschleicht vielleicht eine Ahnung, was die Menschen in dem, was unser Berufsstand ihnen liefert, so schmerzlich vermissen "

Antiquitus
Moderator

Beiträge: 943


 

Gesendet: 18:02 - 27.02.2004

solche artikel sind immens wichtig.
wir kritische laien werden ja regelmäßig von den professionellen architekten belächelt und nicht ernst genommen. da ist es umso wichtiger, wenn man sieht, dass auch ausgebildete architekten genau daselbe sagen wie wir.

ps: ich bitte um nachsicht, dass ich mich in letzter so rar im internet mache, aber vor mir liegen berge von arbeit. ich werde erst wieder in ca. 2 wochen ein paar tage etwas mehr zeit haben, bevor ich dann wieder 3 wochen gar keien haben werde, wegen einer prüfung.
ich sehe aber, dass ihr euch ohne mich blendend unterhaltet.
mathias
Senior-Mitglied

Beiträge: 315


 

Gesendet: 21:29 - 27.02.2004

@Antiquitus

Viel Erfolg schon mal für deine Prüfung!


Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 01:11 - 28.02.2004

@antiquitus
Klar, das ist leider wichtiger... man will sich nach dem Studium mit gesellschaftlichem Gewicht ja so richtig ins Zeug legen können...
H. C. Stössinger
Senior-Mitglied

Beiträge: 422


 

Gesendet: 19:58 - 28.02.2004

...und Kollhoff bringts wieder mal auf den Punkt!
Lambert
registriert

Beiträge: 2


 

Gesendet: 10:21 - 07.03.2004

Wer haette Aufnahmen des alten leipziger Gewandhauses insbesondere des Innenraumes ?

Gleiche Frage fuer das alte Opernhaus.
Dr.Mises
registriert

Beiträge: 9


 

Gesendet: 22:28 - 16.03.2004

Gewandhaus

Hierbei wäre die Frage, welches Gewandhaus gemeint ist.

Vom ersten Gewandhaus am Gewandgäßchen/Universitätsstraße gibt es keine Fotos als Innenaufnahmen, nur die Fotos vom Abriß wie
[Link zum eingefügten Bild]
Das zweite - Neue Gewandhaus hatte die Adressenbezeichnung Grassistraße 5 und ist somit im Lipsikon recherchierbar.

Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Kleinen Saal, der dem Saal des ersten Gewandhauses nachgebaut wurde
[Link zum eingefügten Bild]
und dem Großen Saal.
[Link zum eingefügten Bild]
Einige Dutzend alte Aufnahmen sind noch nicht zusortiert. Dies trifft auch leider für Innenansichten des ehemaligen Opernhauses zu.
Sonja
registriert

Beiträge: 21


 

Gesendet: 03:25 - 25.03.2004

aus http://www.lvz-online.de/aktuell/content/103130.html

Uni-Campus: Niederländer mit dem besten Entwurf

Leipzig. Im Streit um die Neubebauung des Leipziger Uni-Campus' ist gestern die Vorentscheidung gefallen. Die Jury zum Bauvorhaben der Hochschule empfahl dem Freistaat Sachsen als Auslober des Architekten-Wettbewerbs nach einer mehrstündigen Sitzung in Leipzig, das Rotterdamer Büro Erick van Egeraat mit der weiteren Bearbeitung des Projekts zu beauftragen.


Im Jury-Urteil folgen die Arbeiten der Büros Professor Peter Kulka, Dresden/Köln, Behet Bondzio Lin, Münster, und HG Merz, Berlin/Stuttgart, wie das sächsische Finanzministerium mitteilte. Ab heute, 12 Uhr, werden alle Architekturvorschläge im Foyer des Leipziger Gewandhauses einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt.


Freistaat, Stadt, Universität und auch der Paulinerverein sind mit dem Jury-Entscheid "hochzufrieden". Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee spricht "von einem historischen Tag für Leipzig und für seine Universität". Der Egeraat-Entwurf sei jener "große Wurf", den die Stadt an einem herausragenden Ort wie dem Augustusplatz brauche.


Universitätsrektor Franz Häuser lobt die expressive Form von van Egeraats Architektur. Sie werde einerseits den Anforderungen einer modernen Alma Mater und gleichermaßen dem geforderten Erin-nerungscharakter gerecht. Jutta Schrödl, Sprecherin des Paulinervereins, sieht die Aktivitäten der Bürgerinitiative bestätigt, dass mit einem an eine Kirche erinnernden Bau würdevoll an die 1968 gesprengte Paulinerkirche erinnert wird.


Erick van Egeraat will einen modernen Kirche-Aula-Bau errichten, er nimmt historische Bezüge auf, ohne sie zu kopieren. Der Architekt bei der Präsentation seines Entwurfs:"Das Projekt ist nicht beendet, es fängt jetzt erst an. Ich freue mich sehr auf diese Arbeit." Matthias Rößler, Sachsens Minister für Wissenschaft und Kunst, versprach, dass so schnell wie möglich alle bauvorbereiten-den Arbeiten erfolgen sollen: "Bis 2009, wenn Leipzigs Universität 600 Jahre alt wird, ist der Campus fertig."

(Tom)



http://www.lvz-online.de/lvz-heute/103132.html

© Leipziger Volkszeitung vom Mittwoch, 24. März 2004

Jury hat entschieden: Niederländer soll den neuen Uni-Campus bauen




Die Jury hat entschieden: Gestern Abend wurde der Niederländer Erick van Egeraat zum Sieger des zweiten Architektenwettbewerbs um die Neugestaltung des Uni-Campus gekürt. Dem Freistaat Sachsen als Auslober wurde empfohlen, das Rotterdamer Büro mit der weiteren Bearbeitung des Projekts zu beauftragen.


Der Architektenwettbewerb, dessen Sieger gestern Abend präsentiert wurde, sollte den Konflikt um den Wiederaufbau der Universitätskirche lösen. Die bereits vorab in der LVZ veröffentlichten Ideen-Skizzen hatten in der Bevölkerung aller-dings wenig Zustimmung gefunden - bis auf den Entwurf des Niederländers, der in der zweiten Wettbewerbsphase noch weiter qualifiziert wurde und nunmehr Zustimmung aus allen Lagern fand. Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee (SPD)sprach von einem "historischen Tag". Der große architektonische Wurf sei gelungen.


Der gestrigen Entscheidung war ein jahrelanger Streit vorausgegangen. "Die im 13. Jahrhundert entstandene Kirche Sankt Pauli ist ein Stück deutscher Geschichte und kulturhistorisch wesentlich bedeutender als die Frauenkirche", hatte der 67-jährige Chef des Paulinervereins, Medizin-Nobelpreisträger Günter Blobel, immer wieder betont und auf die Rekonstruktion des Gotteshauses gedrungen.


Universität und Stadt wollten indes ein "modernes Paulinum" für Forschung und Lehre. Bis zum 600. Gründungsjubiläum der Hochschule am 2. Dezember 2009 soll der Campus umgestaltet sein. "Ein originalgetreuer Wiederaufbau würde den barbarischen Akt der Sprengung quasi ungeschehen machen", argumentierte Rektor Franz Häuser immer wieder. Nachdem die sächsische Landesregierung urplötzlich für eine historische Lösung plädiert hatte, trat das Rekto-rat 2003 geschlossen zurück. Auch die evangelisch-lutherische Landeskirche Sachsen hielt angesichts leerer Kassen ein weiteres Gotteshaus in der Innenstadt für nicht tragbar. Die nur wenige Fußminuten entfernte Nikolaikirche sowie die Thomaskirche als einstige Wirkungsstätte Bachs böten genug Raum zur Andacht.


"In Leipzig sollte man den emotionalen Ballast über Bord werfen und etwas wirklich Tolles schaffen", sagte der Dresdner Kunstgeschichtler Jürgen Paul. Denn anders als die Frauenkirche sei die Paulinerkirche kein herausragendes kirchliches Baudenkmal. "Der Innenraum war sehr düster, voll gestopft mit Grabplatten." Paul:"Ich glaube, viele Befürworter wollen vor allem die verspielte, neogotische Fassade zurück. Doch die Verblendung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Bei einer Rekonstruktion müsste die schlichte ursprüngliche Hülle her. Das haben viele vergessen."


Aus dem gestern Abend vorgestellten Egeraat-Entwurf könnte tatsächlich "etwas wirklich Tolles" entstehen, mit dem beide Streitparteien leben können. Ab heute können sich die Leipziger in einer Ausstellung im Gewandhaus-Foyer eine Meinung zum Sieger und den anderen Wettbewerbsarbeiten bilden.


tdh, sei, tom

© Leipziger Volkszeitung vom Mittwoch, 24. März 2004



Jürgen
Senior-Mitglied

Beiträge: 370


 

Gesendet: 12:10 - 25.03.2004

@sonja
Was mich schon ein bischen nachdenklich stimmt, ist das Fehlen von Bildern... Gibt´s da keine oder soll da wiedermal etwas erst im letzten Moment den Einwohnern (diesmal Leipzig) gezeigt werden?

Naja, "der große architektonische Wurf sei gelungen": Da wird ja der Mund voll genommen... bin gespannt.

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