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 Forum Index —› Diskussion —› Wie geht Leipzig mit dem Denkmalschutz um?
 


Autor Mitteilung
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


Gesendet: 00:26 - 20.07.2004

Leipzig kleckert nicht - Leipzig klotzt: In der Innenstadt haufenweise Baustellen. Und da kommt schnell auch mal unter die Räder, was eigentlich als schützens- und erhaltenswert gilt. An drei Beispielen - dem Messehaus Petershof, dem Karstadt-Kaufhaus und der Kleinen Funkenburg in der Jahnallee - zeigt "artour", dass das deutsche Denkmalschutzgesetz viele Interpretationen zulässt: Zwar werden nicht gleich Potjomkinsche Dörfer errichtet, doch was von den historischen Bauten oft bleibt, sind die Fassaden als traurige architektonische Attrappen.


Beispiel 1: Petershof
Das Messehaus, wo einst für Kinokarten Schlange gestanden wurde und wo das Leipziger Dokumentar- und Kurzfilmfestival Jahrzehnte sein Quartier hatte, steht eigentlich unter Denkmalschutz. Weil aber ein leeres Grundstück in bester Citylage erheblich günstiger ist, als sich aufwendig mit Denkmalpflege herumzuschlagen, erlaubt die Stadtverwaltung den Abriss - einzig die Fassade an der Einkaufsstraße bleibt stehen ("... aber bitte nur teilweise ..."). Wertvoller Lichthof? Markante Treppenspindel? Abwechslungsreiche Rückfassade? Was bleibt?


Beispiel 2: Das Karstadt-Kaufhaus mit drei angrenzenden Gründerzeithäusern - eigentlich vier Baudenkmale!
Karstadt höhlt sein Quartier aus! Das ist wörtlich zu nehmen: Ein ganzes Innenstadtkarree bleibt nur Fassade (Adé, du schönes Treppenhaus ...). Und damit die Baufahrzeuge besser rankommen, wird ein Mietshaus gleich ganz abgerissen - die Fassade stellen wir dann später ganz neu wieder hin. Denkmalschutz? Höchstens für Einzelteile. In Leipzigs Innenstadt heißt es eben immer wieder: Baudenkmäler zu Schaukulissen! Und das alles ist ganz legal. Das deutsche Denkmalgesetz ist kaum mehr als ein stumpfes Schwert: "Auf dem Rechtsweg könnte man in Deutschland gar den Kölner Dom abreißen." (W. Hocquél, oberster Denkmalpfleger im Regierungspräsidium) Nutzfläche, Geschosshöhe, Umsatzzahlen - kluge Marketingleute geben vor, wie es in Leipzig und überall auszusehen hat. Sollte es dennoch einmal heikel werden, hilft die Stadtverwaltung auch nach.


Denkmalschutz adé?
Beispiel 3: Kleine Funkenburg
An der Jahnallee kommt wieder ein Stückchen Fluss ans Licht, parallel zur Straße. Da stört ein altes Haus? Man könnte Arkaden ins Erdgeschoss einfügen, unter denen es sich romantisch gondeln ließe, sagen Architekten. Sogar der Investor spiele mit. Nichts da!, sagt das Stadtplanungsamt. Das Haus muss weg! Gerade Straßen braucht das Land (die nur gefördert werden, wenn Platz für ein eigenes Gleisbett der Straßenbahn da ist). Und weil der Oberste Denkmalpfleger in Dresden stinksauer ist und den Abriss nicht genehmigen will, lässt man den Antrag bei der Leipziger Denkmalpflege eben so lange unbearbeitet liegen, bis die Einspruchsfrist verstrichen ist ... Alles ganz legal!


Dresden möchte am liebsten seinen Neumarkt wieder komplett aufbauen und im Urlaub, da freuen wir uns an den schönen alten Häusern in Amsterdam oder in Bella Italia! Na dann, ab in den Urlaub - und schnell vergessen, dass man zu Hause übers Jahr ja viel länger ist ...


Quelle:http://www.mdr.de/artour/1456806.html
Dirk1975
Moderator

Beiträge: 435


 

Gesendet: 00:27 - 20.07.2004

Heute schon perforiert?

Nach einem Jahrzehnt vorbildlicher Sanierungen droht nun die Renaissance der Abrißbirne anzubrechen: Leipzig löst sich auf

"Ist Leipzig noch zu retten?" lautete der dramatische Titel einer berühmt gewordenen Sendung des DDR-Fernsehens in der Wendezeit. Tatsächlich war der Verfall der Bausubstanz damals so weit fortgeschritten, daß der Untergang des deutschlandweit einzigartigen gründerzeitlichen Stadtbilds unvermeidlich schien. Dann folgte das Wunder der neunziger Jahre: In einer beispiellosen Sanierungskampagne wurden die meisten der über zwölftausend Baudenkmäler gerettet. Heute aber, nachdem der hohe Wohnungsleerstand eine Renaissance der Abrißbirne ausgelöst hat, gewinnt die Frage der Wendezeit neue Aktualität. Vor allem in den weitläufigen Wohnvierteln im Osten und Westen Leipzigs hat längst eine Auflösung städtischer Strukturen eingesetzt. In einigen Gebieten findet man kaum noch einen geschlossenen Wohnblock. Die fortschreitende Zerfledderung des Stadtbilds ist nicht nur eine Folge von Einstürzen und Notabrissen. Denn die Stadt hat die Perforation zu ihrem neuen urbanistischen Leitbild erkoren.

Ohne Notwendigkeit - und weitgehend ohne erkennbares Konzept - werden hier und da gründerzeitliche Häuserzeilen planiert. An ihrer Stelle pflanzt man kümmerliche Baumgruppen und gibt ihnen, in unfreiwilliger Komik, wohlklingende Namen wie "Dunkler Wald" oder "Lichter Hain"(Anm.:von der IBA Stadtumbau und seiner Leitung unterstützt, ja gefördert, s.o.).

An diese alltäglichen Zerstörungsaktionen ist man in Leipzig bereits gewöhnt. Ein aktuelles Abrißvorhaben hat aber die lethargisch gewordene Öffentlichkeit unerwartet auf den Plan gerufen. Es betrifft die sogenannte "Kleine Funkenburg", ein erlesenes und hervorragend erhaltenes spätklassizistisches Wohnhaus in unmittelbarer Nähe des Zentrums. Das 1850 errichtete Eckgebäude, das über ein grandioses geschwungenes Treppenhaus verfügt und mit seiner strengen Fassadengliederung an einen Palazzo der italienischen Frührenaissance erinnert, ragt einige Meter in den Straßenraum hinein und wirkt dadurch als wohltuender Blickfang der sonst schnurgeraden Jahnallee. Diese privilegierte Lage droht dem Bauwerk nun zum Verhängnis zu werden, weil die Jahnallee als vierspurige Verkehrsachse mit einem eigenen Gleiskörper und einer Haltestelleninsel für die Straßenbahn ausgebaut werden soll. Geplant ist außerdem eine Freilegung des verrohrten Elstermühlgrabens, der an dieser Stelle in die Straße einmündet. Da die Straßenbreite für all dies nicht ausreicht, soll nach dem Willen der Stadt die Kleine Funkenburg weichen. Dabei gilt die angestrebte Verkehrslösung in Fachkreisen allgemein als unsinnig. Prognosen zufolge reichen die bisherigen zwei Fahrspuren auch künftig aus, und Haltestelleninseln für die Straßenbahn sind ohnehin ein Auslaufmodell, da sie für die Fahrgäste meist mehr Nachteile als Vorteile bringen. Anwohner und ansässige Geschäftsleute protestieren seit langem gegen die Pläne. Das Landesamt für Denkmalpflege leistet ebenfalls Widerstand, weil es die Kleine Funkenburg als ein Kulturdenkmal von überregionaler Bedeutung einstuft. Ein Bürgerverein hat sogar überzeugende Alternativlösungen ausgearbeitet, die die allgemein erwünschte Freilegung des Elstermühlgrabens unter Erhalt des Gebäudes ermöglichen. Selbst die "Leipziger Volkszeitung", sonst nicht gerade ein Anwalt abrißgefährdeter Baudenkmäler, stimmte unlängst in die Proteste ein und berichtete über faule Tricks der Stadtverwaltung beim Genehmigungsverfahren für das Projekt. Sitzungstermine wurden so gelegt, daß Einspruchsfristen der Betroffenen nicht gewahrt werden konnten, städtische Denkmalschützer sollen sogar zur Untätigkeit angewiesen worden sein. Jedenfalls blieben Nachfragen des Landesdenkmalamts so lange unbeantwortet, bis die Frist für einen Widerspruch abgelaufen war. Der Zeitungskommentator bescheinigte der Stadt, daß sie sich bei dem Vorhaben, das ursprünglich zu dem nun hinfällig gewordenen \"Olympia-Programm\" gehörte, völlig verrannt habe, und forderte eine Kurskorrektur. Dazu werden die Stadträte bei der für diesen Mittwoch anberaumten Abstimmung über das Projekt die vermutlich letzte Gelegenheit haben.

ARNOLD BARTETZKY

Frankfurter Allgemeine Zeitung Dienstag, 15. Juni
Booni
Mitglied

Beiträge: 190


 

Gesendet: 00:54 - 20.07.2004

Was die kleine Funkenburg betrifft:

Könnte man da nicht was im Stile der 70er & 80er-Jahre Hausbesetzung machen bevor das Haus fallen muss?

Irgendwie hat der Denkmalschutz hier in Deutschland wirklich nix zu sagen...
Kai_2
Senior-Mitglied

Beiträge: 288


 

Gesendet: 09:59 - 20.07.2004

sehr paradox. einerseitis wehrt sich der denkmalschutz krampfhaft und vehement gegen rekonstruktionen, andererseits lässt er zu, dass historische fassaden nur als kulissen an einen baukörper geklebt werden.

es ist doch kein wunder, dass die häuser leer stehen, wenn man nicht versucht das leben auf die innenstadt zu konzentrieren und die baumaßnahmen der häuslebauer stoppt.

eigentlich wundert es mich, dass es in deutschland überhaupt noch altbauten gibt. aber wahrscheinlich käme ein komplettabriss eh zu teuer.
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 22:19 - 20.07.2004

Naja, ist zwar schade um Lichthöfe etc. aber mir ist die Fassade zur STraße wichtiger, als das Innenleben. Aber es geht auch mit erhalt! Z.B. der ehem. Gloria-Palast am Ku'damm: Obwohl heute Benneton da drin ist, erkennt man noch, dass es sich dabei um ein ehem. Kino handelt. Ich weiß zwar nicht, was in das Karstadt reinsoll, aber...

Also, wenn man wenigstens etwas neues bauen würde...Aber um Bäume zu pflanzen!?!

Wozu will man den Graben freilegen? Für eine romantische Atmosphäre? Ja, in Potsdam hebt man den Stadtgraben auch wieder aus. Aber dafür werden schließlich nur Parkplätze geopfert!Wenn man die nostalgischen Häuser drumherum abreißt, dann ist diese auch weg!

Mir ist nicht ganz klar, wieso die Stadt gegen alle Proteste, Expertenmeinungen etc. ihren Willen durchsetzen will?
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 22:36 - 20.07.2004

Gibt es auch brauchbare Bilder der Funkenburg?

Naja, und der Petershof...Bestimmt besser, als die meisten Neubauten, aber auch nichts berauschendes (optisch, geschichtlich ist das vielleicht was anderes)...
Dr.Mises
registriert

Beiträge: 9


 

Gesendet: 15:48 - 13.08.2004

Um mal wieder etwas Positives beizutragen. Überall rings um das neue Bildermuseum (Brühl, Nikolaistraße, Katharinenstraße, Böttchergasse) wurden Eichen gepflanzt
[Link zum eingefügten Bild]
[Link zum eingefügten Bild]
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 18:45 - 13.08.2004

Ja, Bäume sind immer gut, um derartige Bausünden zu verstecken...
Prokovjev
Stammgast

Beiträge: 73


 

Gesendet: 20:34 - 13.08.2004

Ben schrieb:
Zitat:
Ja, Bäume sind immer gut, um derartige Bausünden zu verstecken...


Ich denke das ist der Grund weshalb Berlin während des Sommers um so vieles schöner ist als zur kalten Jahreszeit: Das Blattwerk der vielen innerstädtischen Bäume, die so manche berliner Strasse säumt.
Ben
Goldenes Premium-Mitglied

Beiträge: 1337


 

Gesendet: 20:42 - 13.08.2004

In eingen Gebieten trifft das bestimmt zu (Leipziger Str.). Andererseits gibt es auch genug STraßenzüge, deren Charme die Bepflanzung nur unterstreicht...

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- Wie geht Leipzig mit dem Denkmalschutz um? -

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