Hamburg (dts Nachrichtenagentur) – Der Friedensforscher Götz Neuneck vom Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik hält die Ostermärsche nach wie vor für relevant. Er würde es begrüßen, wenn mehr junge Menschen nicht nur gegen den Klimawandel, sondern auch gegen die Atomrüstung auf die Straße gingen, sagte Neuneck der „Heilbronner Stimme“. „Es gab immer je nach Konfliktlage wechselhaften Zulauf zur Friedensbewegung. Manchmal wurden die Ostermarschierer kaum zur Kenntnis genommen, manchmal war es eine Massenbewegung. Jetzt hat die Weltlage sich gewandelt, weil man feststellt, dass der vertragliche Rahmen des Ende des Kalten Krieges zerfällt, Kalte Kriegs-Rhetorik wieder genutzt wird und neue Aufrüstung beschlossen wird. Das ist tatsächlich eine neue, sehr gefährliche Situation und dafür werden wahrscheinlich wieder mehr Menschen auf die Straße gehen“, so der Friedensforscher weiter.
Er glaube aber nicht, dass „das zu einer Massenbewegung anschwillt – für viele sind das gar keine Themen mehr. Sie sehen in Deutschland auch in den Nuklearwaffen keine Bedrohung mehr“. Auf die Frage, warum Jugendliche gegen den Klimawandel, aber nicht gegen Nuklearwaffen demonstrieren, sagte Neuneck: „Offensichtlich sind die jungen Leute der Meinung, dass da nicht passieren wird und konzentrieren sich auf den Klimawandel. Im Augenblick sind 1.000 Nuklearsprengköpfe sofort nutzbar und es gibt immer noch weltweit 15.000, teilweise im Besitz sehr problematischer Länder. Natürlich fehlt eine Massenbewegung, die auch die Forderung nach nuklearer Abrüstung wieder deutlicher artikuliert. Wenn jemand auf die irre Idee kommt, Nuklearkrieg auszulösen, ist das weitaus gefährlicher als der Klimawandel. Viele Politiker kennen sich zudem mit der Rüstungskontrolle nicht mehr aus.“
Er würde es „hoffen“, dass junge Menschen auch wieder für den Frieden demonstrieren. Für viele junge Menschen sei der Frieden selbstverständlich geworden. „Die jungen Leute sind in eine Welt hineingesetzt worden, in der Frieden garantiert war, aber diese Garantie hatte immer ihren politischen Preis. Es hat viele gefährliche Momente gegeben im Kalten Krieg und große politische Anstrengungen gebraucht, um die ausufernde Rüstung, die im globalen Atomkrieg enden konnte, zu stoppen sowie gefährliche Krisen mit Nuklearwaffen friedlich zu lösen. Diese Sicherungen durch Rüstungskontrolle und vereinbarte Abrüstung, die man entwickelt hat, um das Äußerste zu verhindern, sowie die Rahmenbedingungen, die dafür nötig sind, wie z.B. der INF-Vertrag brechen weg. Viele kennen diese Regelungen gar nicht mehr“, so der Friedensforscher weiter.
Es sei einfacher, das „Verhalten zum Klima als Gefahr anzuprangern“. Nuklearwaffen seien für viele „ein Spezialthema. Aber sie sind weitaus tödlicher als der Klimawandel. Das Verbot des Einsatzes von Nuklearwaffen und die damit verbundene Eliminierung ist eine sinnvolle politische Forderung“, sagte Neuneck der „Heilbronner Stimme“. Zum Vergleich von „Fridays for Future“ und den Ostermärschen sagte er: „Junge Leute wollen ihr eigenes Sprachrohr, ihr eigenes Megafon haben. `Fridays for Future` ist eben ein anderes Format, das kann aber auch wieder abebben. Demonstrieren alleine verändert ja nicht alles.“ Die Ostermärsche seien seit den 1960ern konstant immer wieder durchgeführt worden. „Das alleine reicht sicher nicht mehr aus, aber es ist ein Kristallisationspunkt des Protestes und die Regierungen sollten das aufgreifen. Es ist aber auch nötig, dass wieder sehr viel mehr Menschen gegen Nuklearwaffen auf die Straße gehen. Immerhin geht es auch hier um ihre Zukunft“, so der Konfliktforscher weiter.