London (dts Nachrichtenagentur) – Der britische Historiker Ian Kershaw hat das Verhalten britischer Politiker im Zuge des Brexits scharf kritisiert: „Theresa May ist nicht arrogant, ihr Verhalten ist aber borniert. Sie hat geglaubt, den Brexit einfach durch Hartnäckigkeit durchziehen zu können. Und das ohne Beteiligung des Parlaments“, sagte Kershaw dem Nachrichtenportal T-Online.
Das dreimalige Scheitern von Mays Brexit-Deal im Parlament begrüßte Kershaw: „Die Aufgabe eines Parlaments besteht darin, die Arbeit der Regierung zu kontrollieren. Und genau das tut das Unterhaus doch gerade mit Erfolg.“ Die Aussichten auf Einigung hält er dagegen für wenig erfolgversprechend: „Es ist nicht unmöglich, aber wenig wahrscheinlich, dass das Parlament zu einer Einigung gelangt. Die Kluft zwischen Labour und den Konservativen ist einfach zu groß.“ Für Kershaw ist der Brexit Signal für eine kritische Phase der Europäischen Union. „Im schlimmsten Fall kann der Brexit der Anfang des Endes der EU werden“, sagte er.
„Es kann aber ebenso gut sein, dass sich das übrige Europa enger zusammenschließt.“ Auch eine weitere Alternative hält Kershaw für möglich: „Genauso gut könnte eine mehrgleisige EU entstehen, mit Ländern aus der Eurozone, die eine ganz enge Verbindung suchen, sowie Ländern, die einen geringeren Grad der Vernetzung haben.“ Für die Aversion vieler Briten gegenüber der EU machte Kershaw mehrere Faktoren aus, darunter auch historische: „Manche Briten denken heutzutage noch: Wir haben Europa von den Nazis befreit – und die Europäer sind nicht einmal dankbar dafür.“ Aber auch die Flüchtlingskrise 2015 hätte Auswirkungen auf den EU-Skeptizismus in Großbritannien gehabt: „Viele Briten schauten fassungslos auf das Chaos auf dem Festland – und waren nun überzeugt, dass Großbritannien die EU verlassen müsse, um die Einwanderung wieder kontrollieren zu können.“