Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Die Corona-Pandemie hat zu einem ersten Digitalisierungsschub an deutschen Zivilgerichten geführt: Die Zahl der Richter, die in geeigneten Fällen Online-Verhandlungen durchführten, hat sich im Laufe des Jahres 2020 verfünffacht. Das geht aus einer aktuellen Auswertung des Deutschen Richterbundes (DRB) hervor, über die das „Handelsblatt“ berichtet. Demnach schalteten vor der Coronakrise lediglich acht Prozent der Befragten eine Webcam für ihre Verfahren ein.
Diese Quote stieg im ersten Pandemiejahr auf 42 Prozent. Und die Modernisierung dürfte sich fortsetzen: Zwei Drittel aller befragten Zivilrichter gehen davon aus, auch in den kommenden zwölf Monaten eine Videoverhandlung durchzuführen. „Der Rückgriff auf Online-Verfahren hilft, einen möglichen Verfahrensrückstau in der Justiz infolge abgesagter Präsenztermine in Grenzen zu halten“, sagte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn dem „Handelsblatt“. Die Akzeptanz für den digitalen Wandel sei „in Gerichten und Staatsanwaltschaften hoch“. Allerdings werden auch deutliche Grenzen gezogen: So lehnen 97 Prozent der befragten Richter klar ab, Videoverhandlungen als gesetzlichen Regelfall im Zivilprozess vorzusehen. Für die aktuelle Auswertung hat der Richterbund rund 400 Zivilrichter zum Einsatz von Videotechnik in der Justiz befragt. Hintergrund ist eine Forschungsarbeit an der Bucerius Law School Hamburg. Insgesamt hat sich die technische Ausstattung der Gerichte nach Einschätzung der Justizpraktiker während der Pandemie – bei allen regionalen Unterschieden – spürbar verbessert. 69 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, dass die Coronakrise zu einem Digitalisierungsschub geführt hat. Rebehn sieht allerdings „noch immer erheblichen Nachholbedarf“ bei der technischen Ausstattung vieler Gerichte. „Insbesondere einige ostdeutsche Länder hängen deutlich hinter Hamburg, Bayern oder Niedersachsen zurück, die bei der Digitalisierung vorangehen“, sagte der Bundesgeschäftsführer. So verfüge Sachsen-Anhalt nur über drei Videokonferenzanlagen in der Justiz, zudem bremse ein veraltetes Landesdatennetz die Gerichte aus. „Es braucht aber bundesweit leistungsfähige WLAN-Netze, überall mobile Hardware für Richter und Staatsanwälte sowie flächendeckend die Möglichkeit für Video-Verhandlungen“, forderte Rebehn.