Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Im Brexitpoker um ein neues Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Großbritannien wird auf EU-Ebene jetzt eine Notfallvariante geprüft. Der seit Monaten verzögerte Handelsvertrag müsste demzufolge nicht unbedingt schon zum Jahresende unter Dach und Fach sein – notfalls würde nach einer kurzen ungeregelten Phase, bei der es in den ersten Januarwochen zu einem harten Brexit käme, ein Vertrag mit Verspätung in Kraft treten, berichten die Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Mittwochausgaben) unter Berufung auf EU-Ratskreise. „Das wird jetzt diskutiert. Man kann das theoretisch machen“, zitieren die Zeitungen einen hochrangigen EU-Diplomaten, der mit den Gesprächen vertraut ist.
Ziel ist es demnach, einen dauernden Bruch zwischen Großbritannien und der EU auf jeden Fall noch abzuwenden. Der Bruch droht nach bisheriger Erwartung, wenn in den nächsten zwei bis drei Wochen kein Vertrag zustande kommt – denn dann dürfte eine Ratifizierung durch die Parlamente in Brüssel und London und die technische Umsetzung nicht mehr rechtzeitig bis zum Jahresende gelingen, wenn die bisherige Brexit-Übergangsphase ausläuft. Das EU-Parlament hat ein Ultimatum für den Abschluss der Vertragsverhandlungen sogar schon bis Ende Oktober gestellt, EU-Chefunterhändler Michel Barnier hält eine Verständigung noch in der ersten Novemberwoche für ausreichend. In der EU-Kommission wird aber vermutet, dass der britische Premierminister Boris Johnson erst das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen am 3. November abwarten will. Der Kandidat der Demokraten, Joe Biden, hatte sich wegen der Folgen für das Verhältnis zwischen Irland und Nordirland strikt gegen einen ungeregelten Brexit ausgesprochen. Gewinnt Biden die Wahl, wäre Johnson wohl kompromissbereiter, aber die Zeit wäre dann sehr knapp. Ein EU-Diplomat sagte den Funke-Zeitungen: „Es wird jetzt diskutiert, dass man für den Fall, dass eine Einigung etwa bis zum 10. November nicht gelingt, für ein paar Wochen zu Jahresanfang Chaos beim Brexit in Kauf nimmt und einfach weiter verhandelt.“ Eine wünschenswerte Lösung sei dies nicht, weil für einen gewissen Zeitraum doch so etwas wie ein harter Brexit zugelassen würde.