Berlin (dts Nachrichtenagentur) – Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), erwartet, dass die kommende Automatisierungswelle für neue Verteilungskämpfe hierzulande sorgen wird. „Wir sehen schon, dass es große Digitalisierungsgewinne geben wird. Damit stellt sich die Frage, wie diese Gewinne aufgeteilt werden“, sagte Hoffmann der „Welt am Sonntag“.
„Das ist eine neue Verteilungsfrage, die da auf uns zukommt.“ Dabei gehe es nicht nur um Geld, sondern auch um Zeit. „Es muss uns gelingen, die Freiräume, die der Einsatz von Maschinen schafft, auch dafür zu nutzen, dass Beschäftigte mit ihrer Zeit souveräner umgehen können“, sagte der Gewerkschaftsführer der „Welt am Sonntag“.
Aktuelle Tarifverträge wie der bei der Deutschen Bahn, wo Mitarbeiter zwischen mehr Geld oder mehr Urlaubstagen wählen könnten, gingen in diese Richtung. Grundsätzlich will Hoffmann, der sich Mitte Mai zur Wiederwahl stellt, die Digitalisierung nicht verteufeln: „Wir warnen nicht vor Verelendung oder klagen, dass die Digitalisierung in einer Katastrophe mündet“, sagte er in der „Welt am Sonntag“.
„Denn während einerseits Arbeitsplätze wegfallen oder sich verändern, entstehen ja auch neue – wie vor 150 Jahren in der Industrialisierung. Aber wir wollen natürlich nicht, dass hierzulande ein digitales Proletariat entsteht.“
Entscheidend für eine humane Digitalisierung sei, dass die Politik richtig auf die technologische Entwicklung reagiere, mahnte Hoffmann in Richtung Bundesregierung: „Wir wollen gestalten, und wir sehen auch Chancen in der Digitalisierung. Dafür muss die Politik aber Bildung und Qualifizierung zu einem zentralen Thema machen“, sagte der Gewerkschafter, der in der zurückliegenden Woche das Bundeskabinett auf der Klausur in Meseberg zu Arbeitsmarktfragen beraten hat.
„Da geht es nicht nur um Weiterbildung im Betrieb, sondern um ganzheitliche Bildung im humboldtschen Sinne. Nur gute Grundaus- und Weiterbildung kann Menschen flexibel genug für den Arbeitsmarkt der Zukunft machen.“ Hoffmann widerspricht auch der weitverbreiteten Wahrnehmung, dass heute aggressiver gestreikt werde als früher: „Nein, es wird nicht mehr gestreikt als früher – das schwankt von Jahr zu Jahr“, sagte Hoffmann.
Richtig sei allerdings, dass die Beschäftigten in der wachsenden Dienstleistungsbranche sich stärker für ihre Interessen einsetzten; das habe beispielsweise der Kita-Streik im Jahr 2015 gezeigt. „Das ist direkt spürbarer, als wenn die Industrie streikt, aber es ist auch gut so. Wir brauchen diese Debatte über den Wert der Arbeit“, sagte Hoffmann.