Duisburg (dts Nachrichtenagentur) – Der renommierte Parteien- und Wahlforscher Karl-Rudolf Korte prognostiziert den drei Parteien der Ampel-Koalition, SPD, Grüne und FDP, bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen an diesem Sonntag eine klare Niederlage. Gleichzeitig warnt er davor, mögliche Stimmengewinne der AfD überzubewerten. „Man traut ihnen nicht zu, die Probleme im Land lösen zu können“, sagte Korte der „Welt am Sonntag“.
„Das hat mit der Vielfalt der Krisen zu tun, aber auch mit Kommunikation.“ Die Situation wäre Korte zufolge eine andere, wenn die Ampel-Partner besser erklären würden, was sie tun und warum, wenn sie enger gemeinsam vorgehen würden. „Aber das findet sichtbar nicht statt“, stellt der Wahlforscher fest. Der Politikwissenschaftler geht jedoch nicht von einem Dauertief der Ampel aus, bis zur nächsten Bundestagswahl sind es noch zwei Jahre, bis dahin könne sich das Blatt wenden. „Wenn es zum Beispiel einen Durchbruch bei der Migrationspolitik gibt, eine Begrenzung, und das entsprechend erklärt wird, dann könnte das ein Kipppunkt für die Ampel sein – hin zum Wiederwählbaren“, sagte Korte. Die Profiteure der Ampel-Schwäche, die AfD, sei allerdings keine akute Gefahr für die Demokratie. Auf die Frage, ob man sich um die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Deutschland angesichts des Erstarkens der rechtsextremen Partei Sorgen machen müsse, sagte Korte: „Nein, weil der Wahlsonntag in Bayern und Hessen uns etwas anderes zeigen wird. Bei diesen Wahlen werden 80 bis 90 Prozent der Wähler nicht die Extreme wählen. Wir sollten uns diese Größenordnungen immer vor Augen halten.“ Gefährlicher als die AfD und die autoritäre Versuchung sei die Angst vor ihnen. „Angst lähmt, ist ein Killervirus in der Demokratie. Wer zu viel auf die Ränder blickt, übersieht die breite politische Mitte“, warnte der Parteienforscher. „Die hohe Symbolik, dass die AfD vielleicht im Osten eine Landtagswahl gewinnen kann, sollte nicht darüber hinwegtäuschen: Die AfD wird viel intensiver im Westen als im Osten gewählt – gemessen an absoluten Stimmen“, sagte Korte. Die Wähler im Osten seien, was ihr Abstimmungsverhalten angehe, nie festgelegt gewesen. „Dort ist die Volatilität viel ausgeprägter, sodass auch von den Umfragedaten her nicht Rückschlüsse zu ziehen sind auf das Wahlverhalten. Warum unterschätzen wir bereits vorab die hohe Mobilisierungskraft der amtierenden Ministerpräsidenten?“, fragt der Parteienexperte. Bundespolitisch entscheidender sei von den beiden Landtagswahlen an diesem Sonntag die in Hessen. „Denn der Parteienwettbewerb in Bayern ist eher singulär“, so Korte. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach dieser Wahl die AfD in Hessen die Opposition anführt und zweitstärkste Kraft wird. Würde der AfD das in einem liberalen Flächenland des Westens erstmals gelingen, hätte das hohe Symbolkraft für ganz Deutschland.“ Er gehe aber davon aus, dass im Endspurt der Mobilisierung in Hessen die Machtrevitalisierung der politischen Mitte dies deutlich verhindern wird. Die kritische Grundstimmung derzeit in Deutschland sei eine Mischung aus Unzufriedenheit, Staatsfrust, Überforderung. „Transformationsängste steigen. Es gibt ein Nachwirken der Distanzdemokratie durch Corona, also dem Gefühl, dass sich die Politik nur noch mit sich selbst beschäftigt und dass die Bürger nicht mehr gehört werden“, glaubt Korte. Hinzu kämen die erlebten Vielfachkrisen und der gewachsene Zweifel, dass die Politik krisenlotsenhaft dafür noch die passenden Problemlösungen parat habe. Der Wahlforscher verteidigt die Ampel-Koalition aber auch. Gemessen an der Koalitionsvereinbarung habe die Bundesregierung viel abgearbeitet, und gemessen an der außerordentlichen Situation des Kriegswinters und der Energiekrise habe sie sehr viel dazu beigetragen, unsere sicherheitspolitische Zurückhaltungskultur aufzubrechen. „Sie trug mit der Zeitenwende entscheidend dazu bei, unsere Freiheit zu verteidigen, den Krieg nicht zu eskalieren und auch in warmen Wohnzimmern sitzen zu können“, so Korte. „Nun allerdings gewinnt man den Eindruck, die Ampel-Parteien kommen bei der Gestaltungspolitik der Transformation ins Stolpern.“