
Mit einem quietschenden Ruck öffnet der Müller die Schleuse seines Mühlenbachs: Auf einen Schlag schießt das gestaute Wasser durch den Kanal und setzt das oberschlächtige Mühlrad langsam in Bewegung. Im Inneren der Mühle bringt die Kraft des Wassers dann die schweren Mühlsteine zum Drehen, die das Korn zermahlen.
Bilder aus der Vergangenheit
Nach diesem Prinzip arbeiteten in früheren Jahrhunderten die Müller in einigen Tausend Mühlen in Baden-Württemberg. Aber sind das alles nur längst verblichene Bilder aus der Vergangenheit? Sicher: Es gibt heute keine historischen Wassermühlen mehr, die wirtschaftlich betrieben werden. Turbinen für die Wasserkraft, Dampfmaschinen, Elektrizität und andere Energieformen haben die alten Mühlräder längst abgelöst.
Und doch existieren noch einige dieser Zeitzeugen früherer Handwerkskunst: Hier im Südwesten zum Beispiel in großer Zahl im Schwäbisch-Fränkischen Wald.
Der Mühlenwanderweg
Der Mühlenwanderweg, der an neun dieser historischen Säg- und Mahlmühlen vorbei führt, lockt heute Besucher aus ganz Deutschland, ja sogar ausländische Touristen an. Er liegt im Herzen des Naturparks Schwäbisch-Fränkischer Wald im Nordosten von Stuttgart. Auf über 900 Quadratkilometern laden ausgedehnte Mischwälder, klare Bäche in malerischen Wiesentälern und romantisch gelegene Seen ein zum Wandern, Radfahren, Reiten oder Baden.
Woher kommt der Spruch „das Wasser abgraben“?
Ein guter Ausgangspunkt, die Mühlen zu Fuß oder mit dem Rad zu erkunden, ist die seit dem 12. Jahrhundert nachgewiesene Heinlesmühle im Tal der Rot zwischen Welzheim und Gschwend. In dem stattlichen Fachwerkhaus war bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine renommierte Schildwirtschaft und zeitweise die Schultheisserei für das nahe gelegene Vorderwestermurr.
Mühlen als wirtschaftlicher Schwerpunkt
Welche wirtschaftliche Bedeutung die Mühlen damals hatten, verdeutlicht das Steueraufkommen: Von 42 Gulden der jährlichen Einnahmen brachte allein die Heinlesmühle 10 Gulden auf. Neben der Landwirtschaft, dem Handwerk und dem Potasche-Sieden gehörten die Mühlen damit zu den wichtigsten Wirtschaftzweigen.
Das „Wasser abgraben“ …
Wie Perlen an einer Kette lagen die Mühlen damals an der Rot, jeweils mit soviel Abstand, dass die Wasserkraft ausreichte, um die Mühlräder in Gang zu setzen. Unter den Müller kam es immer wieder zu Streitereien, wenn einer dem anderen „das Wasser abgrub“. Ein Konflikt, der über viele Jahrhunderte so häufig war, dass sich die Redewendung bis in unsere Zeit erhalten hat. Nicht zuletzt deshalb weiß man heute noch einiges über die Geschichte der Müller, weil sie so oft gestritten haben und es darüber Aufzeichnungen in den Akten der Gemeinden gibt.
Wer heute dem romantischen Tal der Rot dem Wasser aufwärts folgt, hört nur noch ein friedliches Plätschern, das nicht mehr an das harten Leben von damals erinnert. Über Holzbohlen führt der Weg durch feuchte, ungedüngte Wiesen, die früher nur als Einstreu für die Ställe geschnitten wurden.
Mühlenwanderweg: Menzelsmühle & Ebersberg
Was damals für die Bauern schlechte, weil zu nasse Flächen waren, ist heute ein Kleinod nicht nur für botanisch Interessierte: gelb blühende Trollblumen, Breitblättriges Knabenkraut und so manche andere seltene Arten zeigen hier ihre Schönheit direkt am Wegesrand.
Die Menzelsmühle
Schon kurz darauf erreicht man das nächste Highlight der Strecke: Die vom Hag- und Gauchhausener Bach betriebene Menzlesmühle aus dem 14. Jahrhundert. Sie liegt so idyllisch im Tal, zwischen Wald und blumenreichen Wiesen, davor ein umzäunter, alter Bauerngarten – man möchte am liebsten verweilen und für immer hier bleiben.
Der Ebersberg
Das Wanderzeichen mit dem Mühlradsymbol weist jedoch unerbittlich bergauf, durch den Wald in Richtung Ebersberg. Auf der freien Kuppe oben angekommen, sollte man sich einen Abstecher in die wildromantische Hägelesklinge nicht entgehen lassen. In dieser imposanten Felsenschlucht – sie steht seit 1969 unter Naturschutz – suchte im 19. Jahrhunderts der Deserteur Johannes Hägele Zuflucht von den herzöglichen Häschern. Wie lange er in dieser luftfeuchten Klinge zwischen Moosen und Farnen ausharren musste, ist nicht überliefert.
Die Ebersberger Mühle
Ein ausgeschilderter Rundweg bringt den Wanderer auf steilem, aber kurzem Wege zurück zum Ausgangspunkt und damit wieder auf den Mühlenweg. Der schlängelt sich durch den Wald bergab ins Tal der Blinden Rot zur Ebersberger Mühle. Die 1604 erbaute Sägemühle gehörte einst mit Teilen des gleichnamigen Weilers dem Kloster Adelberg auf dem Schurwald. Heute bringt eine Wasserturbine die Mahl- und Sägeanlage in Schwung.
Mühlenwanderweg: Infos für Wanderer
Über die kleinen Weiler Strohhof, Schadberg und Schillinghof steigt der Mühlenweg schließlich wieder ab ins Tal der Rot zur Hummelgautsche. Die kleine Sägemühle hat ihren Namen von der angrenzenden „Hummelwiese“ und ihrem langsam gautschenden Sägegatter.
Pfingsmontag wir die alte Sägeanlage in Gang gesetzt
Nur zu besonderen Anlässen wie beispielsweise am Mühlentag, den die Deutsche Mühlengesellschaft immer am Pfingstmontag ausrichtet, wird die alte Sägeanlage noch einmal in Betrieb gesetzt. Ganz langsam schiebt sich der eingespannte Baumstamm durch die auf- und absenkende Säge und es dauert eine halbe Ewigkeit, bis daraus einige wenige Bretter geschnitten sind. Wie mühsam war das und wie wertvoll musste das Ergebnis für die Bauern gewesen sein!
Nach einem halben Kilometer talaufwärts erreicht der Rundweg wieder seinen Ausgangspunkt, die Heinlesmühle.
Infos für Wanderer
Der Mühlenwanderweg hat insgesamt eine Länge von 32 km und ist als Rundweg mit einem Mühlradsymbol ausgeschildert. Am Wanderparkplatz bei der Heinlesmühle informiert eine Tafel über mögliche Wanderrouten. Für Tagestouren sind zusätzlich Teilstrecken des Mühlenwegs als drei kleinere, zwischen 10 und 12 km lange Rundwege mit farbigen Symbolen ausgewiesen. Hier beschrieben ist der braun markierte Rundweg 1.
Für weitere Wanderungen empfiehlt sich die offizielle Karte des Naturparkvereins: „Naturpark Schwäbisch-Fränkischer Wald“ im Maßstab 1:50 000, Blatt 28, Hg. Landesvermessungsamt Baden-Württemberg.