Eine bedeutende deutsche Frauenrechtlerin war die Lehrerin, Politikerin und Schriftstellerin Gertrud Bäumer (18731954). Zusammen mit dem Politiker Friedrich Naumann (18601919) und der Frauenrechtlerin Helene Lange (18481930) setzte sie sich mit Nachdruck zur Lösung sozialer Fragen und für die Gleichberechtigung der Frau ein. Als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine gehörte sie dem International Council of Women (Weltbund der Frauen) an.
Gertrud Bäumer kam am 12. September 1873 als Tochter eines evangelischen Pfarrers in Hohenlimburg heute ein Stadtteil von Hagen in Nordrhein-Westfalen zur Welt. Ihre Familie zog 1876 nach Pommern, wo der Vater als Kreisschulinspektor arbeitete. Nach dem Abschluss der Höheren Töchterschule in Halle/Saale besuchte Gertrud das Lehrerinnenseminar in Magdeburg.
Ab 1894 wirkte Gertrud Bäumer als Lehrerin in Halberstadt, Kamen und Magdeburg. 1896 beteiligte sie sich an der Gründung der Magdeburger Lehrerinnenvereinigung. Damals lernte sie die Führerin der bürgerlichen Frauenbewegung, Helene Lange, kennen. Von 1898 bis 1900 absolvierte sie ein Oberlehrerinnenstudium in Berlin, und von 1900 bis 1904 studierte sie Germanistik, Theologie, Philosophie und Soziologie. 1904 promovierte sie über das Werk Satyros von Johann Wolfgang von Goethe (17491832).
Zwischen 1907 und 1910 wirkte Gertrud Bäumer als Redakteurin bei Neue Bahnen, der Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Frauenvereins (ADF).
Zu Gertrud Bäumers frühen Werken gehören das fünfbändige Handbuch der Frauenbewegung (ab 1901), das sie mit ihrer Lebensgefährtin Helene Lange herausgab, sowie die Bücher Die soziale Idee in den Weltanschauungen des 19. Jahrhunderts (1910) und Die Frauengestalt in der deutschen Frühe (1927).
Von 1910 bis 1919 fungierte Gertrud Bäumer als Vorsitzende des Bundes Deutscher Frauenvereine (BDF). Zusammen mit Friedrich Naumann gab sie von 1912 bis 1940 die Zeitschrift Die Hilfe, eine Wochenschrift für Politik, Literatur und Kunst, heraus.
Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges gründete Gertrud Bäumer 1914 den Nationalen Frauendienst, der in Kooperation mit Wohlfahrtsverbänden und dem Roten Kreuz die entstehende soziale Not an der Heimatfront mit karitativen Leistungen zu lindern versuchte. Zu den Tätigkeiten des Nationalen Frauendienstes gehörten Arbeitsvermittlung und -beschaffung, Vermittlung freiwilliger Hilfskräfte, Kinder- und Jugendfürsorge, Wöchnerinnen- und Säuglingsfürsorge, Organisation von Speisungen und Lebensmittelverteilungen, Truppenspeisungen, Lebensmittelpreiskontrolle, Schulungsprogramme für den ökonomischen Umgang mit Nahrungsmitteln sowie Beratungs- und Auskunftsdienste.
1916 wurde Gertrud Bäumer Herausgeberin der Zeitschrift Die Frau, des Organs der bürgerlichen Frauenbewegung. Von 1916 bis 1920 leitete sie das Sozialpädagogische Institut in Hamburg. An diesem Institut, einem Seminar zur Ausbildung von Frauen für die soziale Arbeit, unterrichtete von 1917 bis 1920 auch Helene Lange.
Am 12. November 1918 verkündete der Rat der Volksbeauftragten die Einführung des gleichen, geheimen, direkten und allgemeinen Wahlrechts für alle männlichen und weiblichen Personen über 20 Jahre. Dies ermöglichte es Gertrud Bäumer, für die Demokratische Partei (DDP) zu kandidieren und gewählt zu werden.
Gertrud Bäumer gehörte 1919/1920 der Weimarer Nationalversammlung an und war von 1920 bis 1930 Mitglied des Deutschen Reichstages in Berlin und stellvertretende Vorsitzende der DDP. Am 19. Februar 1919 hörte sie die erste Parlamentsrede einer Frau in Deutschland, die von der Abgeordneten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der Kölner Sozialarbeiterin Marie Juchacz (18791956), in der Weimarer Nationalversammlung gehalten wurde.
1922 wurde Gertrud Bäumer als erste deutsche Ministerialrätin in die kulturpolitische Abteilung des Reichsinnenministeriums berufen. Dort leitete sie das Schulreferat und die Jugendwohlfahrt und verhalf dem Kulturprogramm der Weimarer Verfassung zum Durchbruch. Beim Beitritt Deutschlands zum Völkerbund sandte man sie 1926 als Delegierte in die Kommission für soziale und humanitäre Fragen. Von 1930 bis 1932 saß sie für die Deutsche Staatspartei im Deutschen Reichstag.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten von 1933 wurde Gertrud Bäumer als politisch unzuverlässig eingestuft, ihrer Ämter enthoben und mit einer Volksschullehrerpension entlassen. Danach zog sie nach Gießmannsdorf (Schlesien), widmete sich verstärkt ihrer schriftstellerischen Tätigkeit und machte sich einen Namen als Autorin.
In dem Buch Lebensweg durch eine Zeitenwende (1934) schilderte Gertrud Bäumer ihren eigenen Entwicklungsgang. Weitere wichtige Werke aus ihrer Feder waren Männer und Frauen im geistigen Werden des deutschen Volkes (1934), Ich kreise um Gott. Der Beter Rainer Maria Rilke (1935) und der bekannteste unter ihren großen historischen Romanen, Adelheid, Mutter der Königreiche (1936). Im Jahre 1936 setzte man sie als Herausgeberin der Zeitschrift Die Frau ab.
Während der Zeit des Nationalsozialismus erschienen auch Gertrud Bäumers Bücher Der Park (1937) Krone und Kreuz (1938), Der Berg des Königs. Das Epos des langobardischen Volkes (1938), Gestalt und Wandel. Frauenbildnisse (1939) und Die Macht der Liebe. Der Weg des Dante Alighieri (1941).
Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Gertrud Bäumer ab 1945 in Bamberg (Bayern) für den politischen Wiederaufbau in den westlichen Besatzungszonen und hob die Christlich-Soziale Union (CSU) mit aus der Taufe.
Im Jahr darauf erschienen ihre Werke Der neue Weg der deutschen Frau (1946) und Die Reichsidee der Ottonen (1946). Es folgten die Bücher Der Dichter Fritz Usinger (1947), Eine Woche im May. 7 Tage des jungen Goethe (1947), Die christliche Barmherzigkeit als geschichtliche Macht (1948), Helene Lange. Zum 100. Geburtstag (1948), Frau Rath Goethe. Die Mutter der Weisheit (1949), Ricarda Huch (1949), die drei göttlichen Komödien des Abendlandes (1949), Der Jüngling im Sternenmantel. Größe und Tragik Ottos III. (1949), Das geistige Bild Goethes im Licht seiner Werke (1950) sowie Otto I. und Adelheid (1951).
1948 zog Gertrud Bäumer nach Bad Godesberg um, wo sie die Christlich-Demokratische Union (CDU) unterstützte. Im September 1953 erschien anlässlich ihres 80. Geburtstages die überarbeitete Fassung ihrer Autobiographie Im Lichte der Erinnerung. Am 25. März 1954 starb sie im Alter von 80 Jahren in Bethel bei Bielefeld (Nordrhein-Westfalen). Zwei Jahre nach ihrem Tod wurden in dem Buch Des Lebens wie der Liebe Band (1956) ihre Briefe veröffentlicht.
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).