Eine engagierte Kämpferin für die Rechte der Frauen, den Frieden und die Freiheit war die deutsche Lehrerin, Schauspielerin und Führerin des radikaldemokratischen Flügels der deutschen Frauenbewegung, Anita Augspurg (18571943). Sie gründete den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht, hob die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit mit aus der Taufe und war die erste deutsche Juristin.
Anita Augspurg wurde am 22. September 1857 in Verden an der Aller (Niedersachsen) als Tochter des Obergerichtsanwalts Wilhelm Augspurg und seiner Frau Auguste geboren. Ihr Vater hatte sich an der Revolution von 1848 beteiligt und deswegen eine Festungshaft verbüßen müssen. In Biographien über Anita heißt es, sie sei ein verträumtes Kind mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn gewesen und habe früh gegenüber der Kirche eine kritische Haltung eingenommen.
Um der Enge ihres Heimatortes zu entfliehen, zog Anita Augspurg nach Berlin und absolvierte dort erfolgreich das Lehrerinnenexamen, später legte sie auch die Turnlehrerinnenprüfung ab. Nach einer Erbschaft ließ sie sich als Schauspielerin ausbilden und trat in der Provinz auf. Anschließend eröffnete sie mit einer Freundin in München das Fotoatelier Elvira, zu dessen Kundschaft vor allem Künstler gehörten.
Die Mitarbeit Anita Augspurgs im Frauenverein Reform führte 1893 zur Gründung eines Mädchengymnasiums in Karlsruhe, an dem die Hochschulreife erworben werden konnte. 1893 begann sie ein Jurastudium an der Universität Zürich, wo sie 1897 mit 40 Jahren zum Doktor der Rechte und zur ersten deutschen Juristin promovierte.
Beim Internationalen Frauenkongreß in Berlin 1896 begegnete Anita Augspurg erstmals der Feministin Lida-Gustava Heymann (18681943), die später ihre Lebensgefährtin wurde. 1897 nahm Anita am Internationalen Abolitionistischen Kongreß in London teil. Als Abolitionismus (englisch: to abolish = abschaffen) wird die Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei in Großbritannien und in den USA bezeichnet. Hinterher initiierte sie in Deutschland zahlreiche Vereinsgründungen, die gegen die staatliche Reglementierung der Prostitution und gegen die Sittlichkeitsbewegung von Hanna Bieber-Böhm (18511910) kämpften.
Auf Anita Augspurg sind viele Anstöße zur Verbesserung im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Bereich in Deutschland zurückzuführen. In Gesetzesänderungsvorschlägen, die weibliche Belange berührten, brachte sie ihre Rechtskenntnisse ein und klärte über die juristische Stellung der Frau auf.
Mehr als ein Jahrzehnt lang bildeten Anita Augspurg und die Feministin Minna Cauer (18421922) den Mittelpunkt der radikalen Frauenbewegung. Beide gingen mit einer Sondergenehmigung im Deutschen Reichstag in Berlin ein und aus. Anita redigierte die Beilage Parlamentarische Angelegenheiten und Gesetzgebung in der Zeitschrift Die Frauenbewegung von Minna Cauer.
Anita Augspurg gehörte zum Vorstand des Vereins Frauenwohl und zu den Gründerinnen des Verbands fortschrittlicher Frauenvereine, in dem sie als zweite Vorsitzende fungierte. Zusammen mit Lida-Gustava Heymann gründete sie 1902 den Deutschen Verband für Frauenstimmrecht und wurde dessen Präsidentin.
1907 zogen Anita Augspurg und Lida-Gustava Heymann nach Bayern. Fortan kam Anita nur noch in den Wintermonaten nach Berlin, um dort politisch tätig zu sein. Von 1907 bis 1912 war sie Herausgeberin der Zeitschrift für Frauenrecht und 1912/1913 des Verbandsorgans Frauenstimmrecht.
Nachdem 1908 auch Frauen in politische Parteien eintreten konnten, schloss sich Anita Augspurg der liberalen Deutschen Freisinnigen Partei (DFrP) an. Diese Partei verließ sie aber bald wieder, weil sie meinte, sie verschwende ihre Kräfte an Männerpolitik.
Während des Ersten Weltkrieges (19141918) tat sich Anita Augspurg als Pazifistin hervor. 1915 war sie eine der Initiatorinnen der Internationalen Frauenfriedenskonferenz in Den Haag (Niederlande) und beteiligte sich an der Gründung der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Danach hob sie zusammen mit ihrer Lebensgefährtin in deutschen Städten nationale Frauenausschüsse für dauernden Frieden aus der Taufe.
Wegen ihren Aufsehen erregenden Aktionen für den Frieden wurde Anita Augspurg vom Bund Deutscher Frauenvereine ausgeschlossen. Zur Zeit des Ersten Weltkrieges erhielt sie Redeverbot und musste Hausdurchsuchungen hinnehmen.
Nach der Ausrufung der Räterepublik in Bayern 1918 setzte sich Anita Augspurg für deren Ziele ein. Sie war fasziniert von der Idee der Einberufung von Frauenräten und saß als Vertreterin der Frauenbewegung in dem im November 1918 gewählten provisorischen Parlament. Im Dezember 1918 kandidierte sie erfolglos für den bayerischen Landtag. Von 1919 bis 1933 gaben Anita Augspurg und Lida-Gustava Heymann die Zeitschrift Die Frau im Staat heraus und engagierten sich in der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF) für Abrüstung und ein Verbot der Entwicklung chemischer Waffen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland kehrten Anita Augspurg und Lida-Gustava Heymann von einer Auslandsreise nicht mehr in ihr Heimatland zurück und lebten fortan in der Schweiz. Beide standen auf der Liste der zu liquidierenden Personen, ihr Besitz wurde konfisziert und ihr Frauenarchiv vernichtet. Am 20. Dezember 1943 starb Anita Augspurg im Alter von 86 Jahren in ihrem Zürcher Exil.
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).