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Wenn sich der Winter dem Ende nähert, ist gründliches Aufräumen angesagt: Die Gartenmöbel werden ausgepackt, Garten und Balkon auf den Frühling vorbereitet, der Winterspeck misstrauisch inspiziert, eventuell sogar ein Großputz veranstaltet. Schaden kann das eh nur in den seltensten Fällen. „Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen!“, schreiben sich die Aufräummuffel auf die Fahnen – und übersehen dabei, dass die permanente Sucherei nach Dingen, die nicht da sind, wo sie eigentlich sein sollten, Zeit und Nerven raubt und dazu noch völlig unnötigen Stress ins Leben bringt. Wenn wir unsere Wohnung „im Griff haben“, alles ordentlich und klar strukturiert ist, fällt es uns viel leichter, auch unser Umfeld, unser ganzes Leben zu strukturieren, statt uns vom Chaos des Alltags überwältigen zu lassen.
Ein Tag beginnt einfach anders, wenn …
… nicht schon in den ersten Minuten die Nerven durch die Suche nach dem Schlüssel strapaziert werden – und er endet anders, wenn uns nicht überquellende Mülleimer und Berge von Dreckwäsche zuhause erwarten. Die Rede ist dabei nicht vom „Putzen“, dem Entfernen von Schmutz, sondern ganz einfach vom „Ausmisten“, dem Entfernen von allem, was uns im Grunde nur belastet. Als Grundregel gilt immer, nur das zu behalten, was einem nützt oder Freude macht – ob im eigenen Haus oder im gesamten Leben. Alles andere muss weg: Geschenke, die uns noch nie gefallen haben, die wir aber aufbewahren, um die Geschenkegeber nicht zu kränken, ebenso wie die Mitgliedschaft im Fitness-Studio, für das wir ohnehin nie Zeit finden, oder auch einseitige „Freundschaften“, die uns Kraft kosten, ohne dass sie uns nähren. Das Schöne ist, dass es in der Regel einfacher fällt, erst einmal mit der Wohnung anzufangen … und wir dann immer besser darin werden, auch andere Dinge zu entsorgen, die unserer Leben nur beschweren. Jedes Ding sollte dabei einen Platz haben, an den es gehört, ob in unserer Wohnung, auf unserem Terminkalender oder in unserem Herzen. Also Ärmel hochgekrempelt und ran an das Gerümpel!
Das echte Leben ist kein Hochglanzmagazin
Aufräumexpertin Rachel Hoffmann weiß: Wer in der „echten Welt“ lebt, dessen Wohnung sieht nicht aus wie die in Hochglanzmagazinen. Aber „deine Wohnung muss gar nicht wie auf den Fotos aussehen, damit du dich darin pudelwohl fühlst.“ Putzen und Organisieren hat nur dann eine Chance, sich zu behaupten, wenn es sich problemlos in ein geschäftiges Leben einbinden lässt, sonst kann es leicht selbst zur Last werden. Deshalb sind gerade Aufräum-Unwillige gut damit beraten, Gewohnheiten entwickeln, wie das Ganze ohne viel Aufwand zu bewältigen ist. Marathonaktionen, wo man an einem Wochenende versucht, das Gerümpel von Monaten zu sortieren, machen keinen Spaß und bringen nichts, denn so werden keine Gewohnheiten entwickelt. Besser ist es, jeden Tag ein bisschen etwas zu machen und sich anzugewöhnen, Dinge nicht einfach aus der Hand zu legen, sondern gleich dorthin zu räumen, wo sie gut verstaut sind.
Sanfter Einstieg
Um die Hemmschwelle am Einstieg sanft zu gestalten, empfiehlt Hoffmann, mit kleinen Einheiten zu starten, erst mal nur den Nachttisch aufzuräumen oder die „unsichtbaren Ecken“ wie den Zeitschriftenstapel hinter der Tür oder die Sammlung elektronischer Kleinteile. Doch Vorsicht: Mit den Anspruch an Perfektion bremst man sich selbst aus! Lieber mal alle Fünfe gerade sein lassen, statt gar nichts zu tun. Ein besonders guter Tipp ist das Entwickeln einer abendlichen Routine, um den Morgen sanfter zu gestalten: das Frühstückszeug bereitstellen, Handtasche packen und Schlüssel bereitlegen, evtl. auch die Kleidung schon herauslegen, damit beim Start in den nächsten Tag kein Stress aufkommt.
Lebenszeiträuber
Marc Laban geht in seiner Wahrnehmung noch einen Schritt weiter: Er benennt die „Lebenszeiträuber“, die uns im Weg stehen, und regt dazu auf, mit „praktischen Tipps, vielfach erprobt an der Front des Alltags“, Raum und Zeit für uns zurückerobern. Denn beides wird uns genommen durch die ständige Aufforderung zum Konsum, auf der unsere Wirtschaft beruht und die uns dazu verführt, völlig Überflüssiges in großer Menge anzuhäufen. Bis irgendwann nicht mehr wir die Dinge dominieren, sondern sie uns, indem sie uns den Platz wegnehmen, den wir zum Leben brauchen, und uns Perspektiven berauben, indem sie den Blick auf Neues verstellen. Ganz abgesehen von der Zeit, die sie uns abverlangen! Chaos in der Wohnung bewirkt auch Chaos im Leben und macht auf Dauer krank. Laban unterteilt beim Entrümpeln in folgende Kategorien: Dinge, die man braucht UND die funktionieren. Dinge, die man nicht braucht.
Erinnerungsstücke
Und Dinge fürs Herz, mit Erinnerungswert, die man sammelt oder geschenkt bekommt. Dabei sollte man nicht übersehen, dass Dinge im Lauf der Zeit ihren Charakter verändern: Was wir früher brauchten oder uns erfreute, ist heute vielleicht nicht mehr aktuell. Also gilt es, Kaputtes zu entsorgen, nicht Gebrauchtes wegzugeben und Dinge, die nur ein- oder zweimal im Jahr genutzt werden, aus dem Weg zu räumen. Wenn man alte „Traditionen“ – wie etwa das Bügeln von Unterwäsche – einfach einmal bleiben lässt, gewinnt man Zeit und Gelassenheit – also sollten wir hinterfragen, was wirklich sinnvoll ist von dem, was wir jeden Tag tun.
Dafür kann man einen Tageskalender führen, um zu sehen, wo die Zeit hingekommen ist, die am Ende des Tages fehlt, und einen einfachen Plan erstellen, der hilft, nichts Wichtiges aus den Augen zu verlieren und die richtigen Prioritäten zu setzen. Wer sich regelmäßig mehr vornimmt, als er schafft, kann Zeitpuffer einplanen oder auch Zeitlimits setzen, wie viel Zeit in welche Arbeit investiert wird. Das gilt ganz konsequent auch für Nervensägen und Zeitfresser wie wartungsintensive Freunde oder die ständige Erreichbarkeit per Smartphone. Soziale Zeitfresser kann man in einer offenen Aussprache konfrontieren, die Beziehung im Sande verlaufen lassen oder sie einfach seltener treffen. Es gibt zudem eine ganze Handvoll an Möglichkeiten, Leute, die sich zur unpassenden Zeit melden, einen Korb zu geben, ohne ihnen damit vor den Kopf zu stoßen.
Das wahre Leben beginnt erst, wenn …
Autorin Marie Kondo schreibt gar vom „Glück des Aufräumens“ – und begründet es:„Das wahre Leben beginnt erst, wenn Sie Ihr Zuhause in Ordnung gebracht haben.“ Der Erfolg der Räumaktion hängt von der inneren Einstellung ab – und von zwei Kompetenzen: behalten, was glücklich macht, und den Rest aussortieren – und die Fähigkeit zu entscheiden, wo die Dinge, die man behält, aufbewahrt werden. Die entscheidende Frage ist immer, ob etwas ein Glücksgefühl auslöst – oder eben nicht. Wer diese Veränderungen im Umfeld vornimmt, wird nie wieder einen Rückfall ins Durcheinander erfahren, sich der eigenen Werte bewusst werden, auf das Eigentum achtgeben und täglich ein Gefühl der Zufriedenheit verspüren. Das alles lässt sich durch das „magische“ Aufräumen bewerkstelligen – das man lernen kann und dessen Ziel ein gemütliches Zuhause ist, in dem man sich rundum wohlfühlt. Und das Ganze hat noch erstaunliche Begleiterscheinungen: Durch Aufräumen gewinnt man Selbstvertrauen, glaubt an die eigenen Zukunft, lernt, Hindernisse zu überwinden und bringt ganz allgemein Bewegung ins Leben.
Mehr Energie durch Abwerfen von Ballast
Dieses Wissen kann man sich ganz praktisch zunutze machen, wenn einmal eine schwierige Entscheidung ansteht oder man etwas im Leben verändern möchte: erst einmal mit der Wohnung anfangen, vielleicht auch nur mit dem Schlafzimmer oder der Krimskrams-Schublade. Das ist ein überschaubares Unterfangen, dass nur wenig Zeit kostet. Dann immer größere Kreise ziehen und überall dort ausmisten, wo sich Ballast angehäuft hat, in welcher Form auch immer, ob als schon längst nicht mehr genutzte Kontakte im Adressbuch oder als Mitgliedschaft in einem Verein, der einem gleichgültig geworden ist. Beim Entrümpeln und Aussortieren wird viel Energie freigesetzt, die neuen Auftrieb und neue Impulse gibt. Und diese Energie, unbelastet vom Gerümpel in der Ecke, kann dann dort eingesetzt werden, wo sie gerade am Nötigsten gebraucht wird.