Zu den mutigsten Frauenrechtlerinnen zur Zeit der Französischen Revolution gehörte die Revolutionärin Théroigne de Méricourt (17621817), geborene Anne-Josèphe Théroigne. Die Amazone der Freiheit kämpfte vor allem für das Recht der Frau, in den Krieg zu ziehen. Außerdem beteiligte sie sich am Sturm auf die Tuilerien von 1792, der den Sturz der Monarchie in Frankreich einleitete. Sie starb arm und vergessen in einem Irrenhaus.
Anne-Josèphe Théroigne wurde am 13. August 1762 als Tochter des begüterten Bauern Pierre Théroigne und seiner Frau Elisabeth Lahaye in dem luxemburgischen Dorf Marcourt, etwa 50 Kilometer südlich von Lüttich (Belgien), geboren. Der Familienname Théroigne wird in der Literatur manchmal auch als Therwagne zitiert. Anne-Josèphe hatte zwei jüngere Brüder namens Pierre-Joseph und Nicolas-Joseph.
Nach dem frühen Tod der Mutter 1767 wurde die fünfjährige Anne-Josèphe auf Wunsch ihres Vaters gegen ihren Willen zu einer Tante nach Lüttich gebracht, die sie in ein Kloster steckte. Später heiratete die Tante, holte Anne-Josèphe aus dem Kloster und nutzte sie in ihrem Haushalt als billige Arbeitskraft aus. Die Elfjährige floh daraufhin zu ihrem Vater.
Ein Jahr später mussten alle drei Kinder den Haushalt des Vaters verlassen. Pierre-Joseph wurde bei Verwandten des Vaters in Deutschland untergebracht. Anne-Josèphe und ihr Bruder Niclas-Joseph fanden bei den Großeltern väterlicherseits ein neues Zuhause. Als Anne-Josèphe sich wieder ausgenutzt fühlte, bat sie ihre Lütticher Tante um Aufnahme, flüchtete dort aber erneut, als es Konflikte gab.
Im Alter von 14 oder 15 Jahren verdingte sich Anne-Josèphe ein Jahr lang als Kuhmagd. Danach arbeitete sie als Kindermädchen bei einer Frau, die sie eines Tages mittellos in einer Herberge zurückließ. Zufällig begegnete sie dort einer Madame Colbert, die sie als Kindermädchen engagierte und gut behandelte. Zusammen mit der Tochter ihrer Arbeitgeberin lernte sie Lesen, Schreiben und Klavierspielen und erhielt eine Gesangsausbildung.
1782 übersiedelte Anne-Josèphe mit der Familie Colbert nach England. Dort verliebte sie sich in einen jungen Adligen, der ihr die Heirat versprach, und verließ seinetwegen heimlich die Familie Colbert. Sie zog mit ihm auf eines seiner Landgüter bei London, wo beide heiraten wollten. 1787 verließ Anne-Josèphe ihren Geliebten, weil er ein lasterhaftes Leben führte, seit er in den Genuss seines Vermögens gekommen war.
Zum Abschied gab der junge Adlige Anne-Josèphe eine großzügige Abfindung von 200000 Livres, was dem 50-fachen Gehalt eines leitenden Staatssekretärs entsprach, und nahm sie mit nach Paris. Die aus ihrer Verbindung stammende Tochter wurde als Françoise-Louise Septenville bei einer Pflegemutter in Paris untergebracht.
In Paris lieh Anne-Josèphe dem 58-jährigen Marquis de Persan die Hälfte ihres Vermögens als Darlehen, das er gegen eine Rente von 5000 Livres jährlich zurückzahlen sollte. Einen Teil des restlichen Geldes legte sie in Schmuck an. Anschließend reiste sie nach London und ließ sich dort bei dem italienischen Sänger Tenducci (um 17361790) ausbilden, der von 1784 bis 1790 das Händel-Fest in London leitete. Er versprach ihr die Vermittlung von Gesangsauftritten.
Mit ihrem Musiklehrer reiste Anne-Josèphe nach Marcourt, wo sie ihrem Vater 80000 Livres für die weitere Erziehung ihrer Brüder überlassen wollte. Weil der Vater bereits gestorben war, gab sie ihrer Stiefmutter etwas Geld und nahm ihre Brüder Pierre-Joseph und Nicolas-Joseph sowie ihren Halbbruder Pierre mit nach Paris. Pierre brachte sie bei einem Maler in Rom unter, für Pierre-Joseph arrangierte sie eine Handelsausbildung in Lüttich. Damals starb ihre Tochter Françoise-Louise in Paris an Pocken.
Am 11. Mai 1789 zog die attraktive Anne-Josèphe, die man bald als la Belle Liégeoise (die Schöne aus Lüttich) bezeichnete, mit ihrem Bruder Nicolas-Joseph nach Paris. Be-geistert beteiligte sie sich an der Französischen Revolution (17891799). Mitte August 1789 bezog sie eine Wohnung in Versailles, dem Tagungsort der Nationalversammlung.
Bei den Sitzungen der Nationalversammlung fiel Anne-Josèphe mit patriotischen Erklärungen und impulsiven Zwischenrufen auf. Die royalistische Presse bedachte sie deswegen bereits im September 1789 mit hämischen Bemerkungen. Um sie in Misskredit zu bringen, nannte man sie Théroigne de Méricourt, was ein Adelsprädikat vortäuschte. Bald war sie als Théroigne so bekannt, dass sie sich nicht mehr gegen diese Anrede wehrte.
Redegewandt trat Théroigne de Méricourt für die Rechte der Frauen ein, was ihr den Titel Amazone der Freiheit einbrachte. Doch die Déclaration des droits de lhomme et du citoyen (Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte) vom 26. August 1789 war für Frauen enttäuschend. Sie räumte ihnen noch nicht einmal das Wahlrecht ein, sie zählten zu den Passivbürgern, während weiße reiche Franzosen über 21 Jahren als Aktivbürger galten.
In einer Ansprache an die Frauen sagte Théroigne de Méricourt: Lasst uns zu den Waffen greifen; wir haben dazu das Recht, von Natur aus und sogar vor dem Gesetz, lasst uns den Männern zeigen, dass wir ihnen weder an Mut noch an Tugend unterlegen sind. Haben sie allein den Anspruch, ein Recht auf Ruhm zu haben?
Auf einen Vorschlag von Théroigne de Méricourt hin wurde am 10. Januar 1790 die Amis de la Loi (Gesellschaft der Freunde des Rechts) gegründet, die das Volk über die Beschlüsse des Konvents informierte. Die Versammlungen fanden bis auf weiteres in ihrem Salon statt, zu dessen Gästen renommierte Politiker und Revolutionäre zählten.
Am 6. August 1790 wurde gegen Théroigne de Méricourt ein Haftbefehl erlassen, dem sie sich durch eine Flucht in ihre Heimat entzog. Aus Furcht, durch sie könnten die Unruhen auf die österreichischen Niederlande übergreifen, wurde sie auf die Festung Kufstein in Tirol gebracht. Nach einjähriger Haft kam sie wieder frei, weil die Vorwürfe, sie habe die Ermordung der aus Österreich stammenden Königin Marie-Antoinette (17551793) geplant, unhaltbar waren.
Nach ihrer Rückkehr feierte man Théroigne de Méricourt 1791 in der Nationalversammlung als Märtyrerin der Freiheit. Als Anerkennung für ihre Verdienste beim Sturm auf die Tuilerien, der Residenz der königlichen Familie, am 10. August 1792 wurde ihr eine Bürgerkrone verliehen. Über ihre Aktivitäten bei diesem Ereignis kursierten wilde Gerüchte. Angeblich hatte sie dabei den royalistischen Journalisten François Suleau, der sie in seinen Publikationen kritisierte, ermordet.
Lange war Théroigne de Méricourt die Wortführerin der Rache, bis sie sich in den Anwalt Jacques Pierre Brissot (17541793), genannt Brissot de Warville, einen Führer der Girondisten, verliebte und mildere Töne anschlug. Die Girondisten waren eine gemäßigte republikanische Gruppe in der Nationalversammlung. Ihr Name beruht darauf, dass einige ihrer Führer aus dem Departement Gironde kamen.
Am 15. Mai 1793 wurde Théroigne de Méricourt auf der Terrasse des Pariser Stadtschlosses, den Tuilerien, von enttäuschten Jakobinerinnen überfallen, ausgezogen und ausgepeitscht, weil sie den Girondisten Brissot unterstützt hatte. Brissot hat man im selben Jahr angeklagt, verurteilt und am 31. Oktober 1793 hingerichtet.
Die Aufregungen jener Zeit gingen an Théroigne de Méricourt nicht spurlos vorüber. Zunehmend litt sie unter geistiger Verwirrung und Verfolgungswahn, weshalb ihr Bruder Pierre-Joseph sie im Sommer 1794 für geisteskrank erklären ließ. Er nahm sie zunächst in seine Obhut, brachte sie jedoch ein halbes Jahr später in ein Irrenhaus.
Im Dezember 1799 wurde Théroigne de Méricourt in die Salpetrière, das Pariser Krankenhaus für mittellose Geisteskranke, eingeliefert. Nach 23-jährigem Aufenthalt im Irrenhaus und zuletzt wochenlang verweigerter Nahrungsaufnahme starb sie im Alter von 54 Jahren am 8. Juni 1817 in Paris.
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).