Als Gründerin der Weltorganisation der Mütter aller Nationen (W.O.M.A.N.) machte sich 1946 die amerikanische Schriftstellerin und Journalistin Dorothy Thompson (18941961) verdient. Nach ihrer
Ausweisung aus Nazi-Deutschland wurde die couragierte Publizistin so berühmt, dass man ihr halb im Scherz, halb im Ernst prophezeite, sie würde die erste amerikanische Präsidentin.
Dorothy Thompson kam am 9. Juli 1894 als Tochter eines britischen Methodistenpredigers in Lancaster im US-Bundesstaat New York zur Welt. Sie besuchte bis 1911 das Lewis Institute in Chicago und studierte an den Universitäten Syracuse im US-Bundesstaat New York und in Wien. 1914 erwarb sie den akademischen Grad Bachelor of Art.
Von 1915 bis 1919 engagierte sich Dorothy Thompson in der New Yorker Frauenstimmrecht-Bewegung und im Sozialwerk New Yorks. 1923 heiratete sie den ungarischen Journalisten Josef Bard (18941961). Um ihm für seine dichterisch-philosophische Begabung mehr Zeit und Muße zu verschaffen, finanzierte sie durch journalistische Tätigkeit den Haushalt. Der Hearst-Konzern schickte sie als Reporterin für die Zeitungen Philadelphia Public Ledger und The New York Evening Post anfangs nach Wien und später 1924 nach Berlin.
Seit 1925 war Dorothy Thompson mit dem deutschen Schriftsteller Carl Zuckmayer (18961977) befreundet. Er schrieb später über sie: Die unbefangene Frische und der Charme ihrer Persönlichkeit waren unwiderstehlich. Ihr Gesicht sah immer so aus, als wäre sie gerade durch einen guten, kräftigen Seewind gelaufen und ihre hellen, klaren Augen blitzten und leuchteten, sei es im Angriff, sei es im Einverständnis, vor Eifer und Enthusiasmus…
Weil es ihr Gatte Josef Bard mit der Treue nicht so genau nahm, wurde Dorothy Thompsons erste Ehe 1927 geschieden. Carl Zuckmayer sagte über sie, sie habe nicht zu den Frauen gehört, die sich leicht oder leichtfertig scheiden ließen. Zur Zeit der Trennung lebte Dorothy in Berlin. Nach einer mehrwöchigen Reise durch die Sowjetunion sandte Dorothy ihren Zeitungen darüber positive Berichte. Daraus entstand das Buch The New Russia (1928).
1928 schloss Dorothy Thompson ihre zweite Ehe mit dem amerikanischen Schriftsteller Sinclair Lewis (18551951), der 1930 den Nobelpreis für Literatur erhielt. Alle Welt glaubte nach der Hochzeit, beide seien das ideale Paar. Am 20. Juni 1930 kam der Sohn Michael zur Welt, der wenig väterliche Liebe erfuhr.
1932 interviewte Dorothy Thompson in Deutschland den nationalsozialistischen Politiker Adolf Hitler (18891945). Als sie seinen Salon im Hotel Kaiserhof betrat, war sie überzeugt, dem zukünftigen Diktator Deutschlands zu begegnen, doch nach weniger als einer Minute meinte sie bereits, dass dies nicht der Fall sein konnte. Wie viele andere Zeitgenossen unterschätzte sie die Gefährlichkeit des späteren Diktators.
Das Interview mit Hitler erwies sich als schwierig, weil dieser fortwährend so redete, als wäre er auf einer Massenversammlung. Er wirkte im persönlichen Gespräch scheu, ja fast verlegen. Bei jeder Frage suchte er nach einem Thema, das ihm gelegen kam. Dann starrten seine Augen in eine ferne Ecke des Raumes. In seine Stimme kam eine hysterische Note, die sich manchmal fast bis zu einem Schrei steigerte. Darüber schrieb Dorothy Zeitungsartikel und fasste sie in dem Buch I saw Hitler (Ich sah Hitler, 1932) zusammen.
1933 lebte Dorothy Thompson mit der deutschen Bildhauerin und Schriftstellerin Christa Winsloe (18881944) zusammen. Diese war von 1913 bis 1924 die Frau des ungarischen Barons, Schriftstellers und Literaturhistorikers Layos Hatvany (18801961) gewesen. 1930 hatte ihr Theaterstück Ritter Nerestan in Leipzig großen Erfolg; es hieß in der Berliner Aufführung Gestern und heute, schilderte die Liebe eines Mädchens zu ihrer Lehrerin und wurde 1931 unter dem Titel Mädchen in Uniform verfilmt.
Am 25. August 1934 musste Dorothy Thompson innerhalb von 24 Stunden Deutschland verlassen. Hitler hatte sie bei einem Wutanfall wegen des Interviews von 1932 ausgewiesen. Dorothy war die erste der Auslandskorrespondenten in Berlin, die gehen musste. Christa Winsloe folgte Dorothy in die USA, wo sie vergeblich versuchte, in Hollywood Fuß zu fassen. Enttäuscht kehrte sie nach Europa zurück.
Von 1936 bis 1941 arbeitete Dorothy Thompson als Kommentatorin für den New York Herald Tribune-Konzern. Ihre Kolumne On the Record erschien vom 17. März 1936 bis zum 30. April 1941. Ein Artikel von ihr, in dem sie ihren Abscheu und ihre Sorgen wegen der Hetzkampagnen gegen andere Rassen, Religionen und Staatsformen ausdrückte, ging 1936 um die Welt. Damit sie ihr tägliches Pensum schaffte, mussten 1938 drei Sekretäre für sie arbeiten. Ihr Buch Let the Record Speak (1939) enthielt eine Auswahl ihrer Kolumnenbeiträge.
Dorothy Thompson war eine der aktivsten öffentlichen Mitstreiterinnen des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt (18821945), der entgegen amerikanischer Tradition 1940 und 1944 für eine dritte und vierte Amtszeit wiedergewählt wurde. Der Herausgeber der New York Herald Tribune, ein Republikaner, kündigte deswegen den Vertrag für die Kolumne On the Record im April 1941. Roosevelt dankte Dorothy nach seiner letzten Wiederwahl 1944 brieflich für ihren tapferen Beistand.
Zur Zeit des Zweiten Weltkrieges (19391945) kämpfte Dorothy Thompson mit großem Eifer gegen den Faschismus. Damals konnte man fast täglich ihre Beiträge in etwa 150 Zeitungen lesen und sie im Rundfunk hören. Ihre Artikel in deutscher Sprache an einen in Deutschland lebenden und kämpfenden Freund in der Rundfunksendung Listen-Hans (Hör zu Hans) sind 1942 auch als Buch erschienen.
Dorothy Thompsons zweiter Mann Sinclair Lewis (genannt Red) konnte den Ruhm seiner Frau seelisch nicht verkraften. Ihrem Tagebuch vertraute Dorothy an: Wir hatten heftige Kämpfe wegen des Alkohols Red vernichtet auch mich… 1942 wurde die zweite Ehe geschieden.
1943 wagte Dorothy Thompson ihre dritte Ehe mit dem tschechischen Maler und Bildhauer Maxim Kopf (18921958) und fand dabei ihr spätes Glück. Über diese Verbindung sagte Dorothy, sie fühle die Fähigkeit, einem Mann unverbrüchlich treu zu sein, den sie liebe und der sie liebe.
Am 10. Juni 1944 kurz vor der Landung der alliierten Truppen in der Normandie wurde Christa Winsloe bei Cluny in Frankreich zusammen mit ihrer Lebensgefährtin, der Schweizer Schriftstellerin Simone Gentet (19001944), von fünf Franzosen überfallen und erschossen. Als Dorothy Thompson vom Tod ihrer großen Liebe hörte, war sie wie am Boden zerstört.
Nach dem Zweiten Weltkrieg flog Dorothy Thompson nach Berlin. Weil sie in Deutschland die Not der Frauen und Kinder wenig lindern konnte, war sie verzweifelt. Bei einem Gespräch mit Papst Pius XII. (18761958) trommelte die Protestantin mit den Fäusten verzweifelt auf die Tischplatte und bat weinend um Hilfe für die Witwen, Waisen, Mütter und Frauen, die durch den Krieg ins Elend gestürzt wurden.
1946 hielt Dorothy Thompson vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (UN) eine Rede im Namen aller Frauen und Mütter der Welt. Mutig beschuldigte sie die Staatschefs Harry Spencer Truman (18841972), Winston Churchill (18741965) und Josef Stalin (18791953), es sei eine Lüge, wenn sie den Frauen sagten, ihre Männer und Söhne seien dafür gestorben, dass die Welt auf ewige Zeiten Frieden fände.
Die Rede von Dorothy Thompson vor dem UN-Sicherheitsrat von 1946 gilt als Geburtsstunde der World Organization of Mothers of all Nations (Weltorganisation der Mütter aller Nationen), die noch im selben Jahr auf Anregung von Dorothy Thompson in New York gegründet wurde. W.O.M.A.N. nimmt aktiv teil an allen Fragen, die das Leben und die Stellung der Frau in der Gesellschaft betreffen. Die Mitglieder versuchen, über ideologische und politische Grenzen hinweg durch persönliche Begegnungen und Gespräche Misstrauen abzubauen und zur Verständigung der Völker beizutragen.
Im Herbst 1947 kehrte Dorothy Thompson nach Deutschland zurück. Dort erschütterte sie der seelische Zustand der Menschen. Man sagte ihr nach, sie liebe die Deutschen sehr, aber sie übertreibe dabei.
1947 folgten etwa 2000 Frauen dem Ruf der Wissenschaftlerin Vilma Mönckeberg-Kollmar (18921985) in das damalige Gästehaus des Hamburger Senats. Dort wurde das Manifest von Dorothy Thompson mit drei Forderungen verlesen: 1. Aufhebung des Vetorechts, das jeden guten Vorschlag in den Vereinten Nationen sabotieren konnte. 2. Verbot schwerer Waffen und Atomwaffen sowie die Einführung der Rüstungskontrolle, 3. Einrichtung einer Welt-Polizei.
Am 15. Juni 1948 trafen sich auf Einladung der W.O.M.A.N. in Hamburg erneut etwa 2000 Frauen diesmal, um für die Hilfen aus dem Ausland zu danken. Das war die Geburtsstunde der Deutschlandzentrale der W.O.M.A.N.. Als deren erste Vorsitzende fungierte von 1948 bis 1964 Vilma Mönckeberg-Kollmar, der zum 80. Geburtstag von der Universität Hamburg ehrenhalber der Professorentitel verliehen wurde.
Als eine der Ersten wandte sich Dorothy Thompson im Oktober 1948 in ihrem Beitrag für die Amerikanische Rundschau gegen die Behauptung einer Kollektivschuld des deutschen Volkes. 1949 unternahm sie einen weiteren Deutschlandbesuch. Später arbeitete Dorothy vor allem für die amerikanische Frauenzeitschrift Ladies Home Journal. Für sie lieferte sie den monatlichen Leitartikel.
Am 31. Januar 1961 starb Dorothy Thompson im Alter von 66 Jahren in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon an Herzversagen. Dort hatte sie die Familie ihres Sohnes Michael besucht und sich auf das Wiedersehen mit zwei Enkeln gefreut.
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).