eine Kolumne von Ernst Holzmann
„Vorher Überlegen macht nachher Überlegen“! Das könnte einer der Leitsätze sein, an den sich Jogi Löw und sein Trainerteam halten, um auch bei der gerade laufenden Europameisterschaft ähnlich wie bei der WM 2014 den Titel zu holen. Aber welche Schritte sind zu überlegen und mit welchen Maßnahmen erzielt eine Führungskraft Erfolg? Auf Basis meiner Erfahrungen „auf und neben dem Platz“ setzt sich diese „Formel“ wie folgt zusammen:
E – Echte Typen im Team
Eine MANNSCHAFT kann nur erfolgreich sein, wenn es gelingt, die Einzelinteressen und die einzelnen Fähigkeiten der „SpielerInnen“ zu erkennen und zielgerichtet zu bündeln. Damit die Arbeit im und mit dem Team Spaß macht und Erfolge bringt, ist die entsprechende Mischung entscheidend. Routiniers, die schon manche Herausforderung gemeistert haben, experimentierfreudige Talente, Experten, „Querdenker“, introvertierte und emotionale Typen. So verhindert man Langeweile, Schwächen von Einzelnen werden ausgeglichen, gute Ideen fallen nicht unter den Tisch und man kann voneinander lernen. Bei unserer MANNSCHAFT wären dies z.B. ein Toni Kroos, ein Jeromoe Boateng, ein Thomas Müller, oder der Youngster Josua Kimmich. Unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Aufgaben im Team, aber alles Könner auf ihrer Position und mit einem gemeinsamen Ziel. Für Unternehmen bedeutet dies auch, dass cross-funktionale Teams meist bessere Ergebnisse abliefern als eine reine Experten-Mannschaft, und dass die alten Haudegen als Lehrmeister für die „jungen Wilden“ immer noch unverzichtbar sind. Und ein Typ wie „Podolski“ schadet keinem Team – gerade wenn´s mal nicht so richtig läuft
R – Richtige „Spieler“ auf der richtigen Position
„Die richtigen Leute einzustellen ist das Beste, was ein Manager tun kann“ (L. Iacocca, US-amerikanische Industrie-Legende). Aber wie findet man nun den „richtigen“ Spieler für die entsprechende Aufgabe?
Die große Kunst für die Führungskräfte ist es, herauszufinden, welche individuellen Fähigkeiten und Kenntnisse die einzelnen MitarbeiterInnen besitzen, und ob sie für die anstehenden Aufgaben und gesteckten Ziele ausreichen. Hier hilft im ersten Schritt das intensive Auseinandersetzen mit der jeweiligen Person, z.B. mit Studium der bisher erzielten Ergebnisse und dem Verhalten in unterschiedlichen Situationen. Aufmerksames Zuhören im Gespräch über die persönlichen Wünsche und Ziele helfen genauso, wie das intensive Beobachten und Begleiten in der täglichen Praxis (nicht zu verwechseln mit bürokratischer Kontrolle). Bei neuen Aufgaben entsprechende Hilfestellungen und/oder Training anbieten! Und dann im täglichen Tun testen, ob die MitarbeiterInnen den zugeteilten Aufgaben und Erwartungen gewachsen sind.
F – Freiräume geben, Fehler als Teil des Erfolgs verstehen
Kluge Führungskräfte (nicht nur am Spielfeldrand) trennen sorgsam Ergebnis von Leistung, oder von nicht beeinflussbaren Umständen. Sie wissen, dass sie speziell jungen Talenten Freiräume für eigene Lösungswege einräumen und mit Ihnen Geduld haben müssen. Eventuelle Fehler werden sachlich und vertraulich angesprochen, Wege zu Verbesserungen aufgezeigt und Chancen zur erneuten Bewährung und zum Hinzulernen gegeben. Gerade das „Schützen und Stützen“ von jungen Talenten ist Teil der Führungsaufgabe, auch weil nach einem chinesischen Sprichwort „das Gras nicht schneller wächst, wenn man jeden Tag daran zieht.“ Und wie schnell „die Saat“ aufgehen kann, hat man bei Mario Götze gesehen, der mit knapp 22 Jahren das goldene Tor im WM-Finale 2014 erzielte.
O – Organisieren des „Spiels“
Das Setzen von motivierenden Zielen, das Festlegen der entsprechenden Strategie und das Formen eines schlagkräftigen Teams stehen im Mittelpunkt der Führungsaufgabe. Aber nicht nur! Beim Schaffen von optimalen Arbeits-/Umgebungsbedingen, dem Bereitstellen von benötigten Ressourcen und dem Aufzeigen von alternativen Wegen ist die Führungskraft immer stärker als Coach – und nicht als der fähigste „Mitspieler“ – gefragt und gefordert. Eben nicht mehr so sehr als „Vorgesetzter“ alter Prägung, der Anweisungen erteilt und auf deren Erfüllung achtet. Oder wie Robert Waterman (Amerikanischer Unternehmensberater) treffend dessen Aufgabe als Organisator des „Spieles“ beschreibt: „Geben Sie Ihren Mitarbeitern genau die Arbeit, bei der sie ihre Fähigkeiten voll ausschöpfen müssen. Geben Sie ihnen dabei alle notwendigen Informationen und erläutern sie ihnen klipp und klar, was es zu erreichen gibt. Und dann – lassen Sie sie in Ruhe (spielen)“!
L – Leidenschaft zeigen
Gott sei Dank stand Bastian „Kampf“-Schweinsteiger im WM-Endspiel gegen Argentinien öfter auf, als er „hingefallen wurde“. Ließ sich auch von einem blutenden Cut nicht aufhalten und führte die deutsche Mannschaft mit seiner Leidenschaft und seinem Siegeswillen zum Titel.
Albert Schweitzer hätte dazu gesagt: „Ein Beispiel zu geben ist nicht die wichtigste Art, wie man andere beeinflusst. Es ist die einzige.“ Und dies betrifft nicht nur die Mannschaft im Spiel, oder die Mitarbeiter/innen im Unternehmen, sondern ganz besonders die jeweiligen Führungskräfte. „Morgens der Erste, Abends der letzte“, das ist der Anspruch an die Verantwortlichen. Vorleben statt nur „Vorbeten“, nicht von anderen verlangen, was man selbst nicht bereit ist, zu tun. Selbstdarsteller, die sich bei Erfolgen in den Vordergrund drängen und bei Misserfolgen die Schuld beim Team suchen, werden deshal als Führungskraft nicht akzeptiert (höchstens geduldet), ob „an der Seitenlinie“ oder als Manager im Unternehmen. Sich nicht unterkriegen lassen, leidenschaftlich für seine Ziele kämpfen, mit gutem Beispiel vorangehen. Das sind die Eigenschaften von echten Führungspersönlichkeiten, die dann von ihrem Team volle Anerkennung und Unterstützung bekommen.
G – Gerecht und Geradlinig sein
Jeder ist gleich wichtig, es darf keine „Lieblings- und Ersatzspieler“ geben, der Star ist die Mannschaft. Bei Misserfolgen keine Sündenböcke suchen, und schon gar nicht Einzelne öffentlich diskreditieren. Dass dabei aber kein Missverständnis aufkommt: Respektvolles Umgehen und Achtung des Einzelnen bedeutet nach meinen Erfahrungen nicht „in Watte packen“ oder „Weggucken“. Bei Fehlverhalten und/oder mangelnder Leistung bedarf es klarer Worte, aber hier ist das „Wie“ entscheidend. Emotionen sind fehl am Platz, klare Argumentation, das Aufzeigen der Fakten bzw. von Verbesserungspotential und das Anbieten von Unterstützung stehen im Mittelpunkt. Persönliche Angriffe beschädigen massiv das Vertrauensverhältnis und zerstören die Basis für eine weitere Zusammenarbeit. Und vielleicht ist es ja bei ausbleibender Leistung einfach so, dass eben nicht alle Informationen und Arbeitsmittel zur Verfügung standen und – bei Anpassung von Aufgabe und Können – sich plötzlich der Erfolg einstellt.
Bei unserem Team scheint es in Frankreich bisher so zu sein, dass Jogi Löw die „Buchstaben“ des Erfolges wieder perfekt zusammengestellt hat. Jetzt bin ich nur gespannt, ob am Ende die einzelnen Puzzle-Teilchen ein ähnliches Bild wie in Brasilien ergeben und wir nach 20 Jahren auch mal wieder Europameister werden. Ich hätte nichts dagegen …
Der Autor
Ernst Holzmann trug mehr als 30 Jahre Verantwortung in leitenden Funktionen (u.a. Geschäftsführer für Vertrieb & Marketing; Leiter Unternehmens-strategie) bei Unternehmen der IT-Industrie und agierte gleichzeitig als Trainer (mit DFB-Lizenz), Sportlicher Leiter und Vorstand bei verschiedenen Vereinen.
Aktuell unterstützt er als Interim Manager Unternehmen in strategischen Neupositionierungen und in speziellen Krisensituationen. Daneben gibt er seine Erfahrungen als Dozent und Referent für die Themen Leadership, Unternehmensführung, Sport-ökonomie, Marketing und Kommunikation an Studierende und bei Unternehmens-Seminaren/-Veranstaltungen weiter.