Als Mexikos erste Feministin, zehnte Muse und Phoenix von Amerika würdigt man heute die dichtende Nonne Sor Juana Inés de la Cruz (16511695), geborene Juana Inés de Asbaje i Ramírez de Cantillana. Die katholische Klosterschwester erlangte im 17. Jahrhundert mit ihrer Lyrik und mit Theaterstücken, die im ganzen spanischen und portugiesischen Reich aufgeführt wurden, einen für eine Frau ihrer Zeit und Gesellschaft beispiellosen Ruhm. Verständnislose Zeitgenossen bereiteten ihr einst großen Kummer.
Juana Inés de Asbaje i Ramírez de Cantillana wurde am 12. November 1651 unehelich auf einem mexikanischen Landgut in San Miguel de Nepantla geboren. Bereits als Dreijährige lernte sie lesen, als Achtjährige schrieb sie ihre ersten Dichtungen. Später wollte sie was ein völlig ungewöhnlicher Wunsch war als Mann verkleidet an der Universität in Mexiko-City studieren.
Im Alter von 17 Jahren kam Juana Inés de Asbaje i Ramírez de Cantillana an den Hof des Vizekönigs von Neu-Spanien, wo sie Gesellschafterin von dessen Frau, der Marquesa de Mancera, wurde. Der Vizekönig war von der gebildeten Jugendlichen so beeindruckt, dass er sie in einem Examen 40 berühmten Gelehrten gegenüberstellte, denen sie keine Antwort schuldig blieb.
Aufgrund einer tiefen Abneigung gegen den Ehestand wollte Juana Inés nicht heiraten. Wegen ihrer bescheidenen und unehelichen Abstammung hätte sie schlechte Heiratschancen gehabt. Deshalb trat sie 1669 in den San-Jerónimo-Orden in Mexiko-City ein. Dort erschienen ihr jedoch die klösterlichen Pflichten eher als eine Last, viel lieber nutzte sie ihre Zeit mit Lesen und Schreiben in ihrer Zelle, in der sich zahlreiche Bücher und wissenschaftliche Geräte häuften.
Obwohl Juana Inés die Klausur streng befolgte und nie die Klostermauern verließ, hatte sie Kontakt mit der Außenwelt: Sie empfing im Besuchszimmer einflussreiche Persönlichkeiten des Vizekönigreichs, mit denen sie lebhaft diskutierte. Eng befreundet war sie mit der Vizekönigin Marquesa de Mancera, der sie früher als Hofdame gedient hatte, und mit deren Nachfolgerin, der Marquesa de la Laguna. Während der Regierungszeit der Letzteren entstand Sor Juanas 975 Verse umfassendes lyrisches Hauptwerk Primera sueño (deutsch. Die Welt im Traum) – Juana Inés verehrte glühend den heiligen Juan de la Cruz (15421591) Johannes vom Kreuz , den Gründer der Unbeschuhten Karmeliten, dessen schwärmerisch-rauschhafte Lieder der Gottessehnsucht zu den gewaltigsten Leistungen der spanischen Mystik gehören. Zur Erinnerung an ihn wählte sie das Pseudonym Juana Inés de la Cruz. Ihre Lyrik und Schauspiele wurden von dem Werk des Geistlichen und Dichters Don Pedro Calderon de la Barca (16001681) beeinflusst.
Sor Juana Inés de la Cruz trat mit spitzer Feder auch für das Recht der Frauen ein, sich zu bilden und in die Auseinandersetzungen der Welt aktiv einzugreifen. Ihre Aktivitäten brachten ihr zwar Ruhm und Ehre, aber auch Neid, Missgunst, Kritik und Intrigen ein. Der Druck auf sie wurde schließlich so groß, dass sie in einem Dokument, das sie ihrer Oberin übergab, auf ihren ganzen Besitz einschließlich Bibliothek verzichtete. Der Erlös hierfür sollte an die Armen verteilt werden. Außerdem gefährdete sie ihre Gesundheit durch Kasteiungen.
1694 unterschrieb Juana Inés mit ihrem Blut ein Bekenntnis der vollständigen und bußfertigen Unterwerfung unter den Willen Gottes. Darin gelobte sie, ihre Studien aufzugeben, um so ihren Weg zur Vollkommenheit fortsetzen zu können.
1695 pflegte Junana Inés während einer Epidemie aufopfernd erkrankte Mitschwestern, bis sie selbst erkrankte und am 17. April 1695 im Alter von 43 Jahren in Mexiko-City starb. 1974 wurde sie in Mexiko zur ersten Feministin Amerikas erklärt. Der mexikanische Nobelpreisträger für Literatur, Octavio Paz, widmete ihr den Essay Sor Juana Inés de la Cruz o las trampas de fe (1982).
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).