Als Begründerin der Frauenbewegung in Österreich machte sich die Politikerin Marianne Hainisch (18391936), geborene Perger, verdient. Sie setzte sich seit 1870 für eine allgemeine Mittelschulbildung für Mädchen, für deren Zulassung zu Hoch- und Gewerbeschulen sowie für die Sicherung besserer Erwerbsmöglichkeiten ein. Außerdem hob sie den Bund österreichischer Frauenvereine und die Österreichische Frauenpartei aus der Taufe und kämpfte für die Einführung des Muttertages in Österreich.
Marianne Perger kam am 25. März 1839 als Tochter des Kaufmanns Josef Perger in Baden bei Wien (Niederösterreich) zur Welt. Ihr Vater erwarb 1845 ein Metallwerk und eine Baumwollspinnerei in Hirtenberg, wo Marianne mit drei Schwestern und zwei Brüdern aufwuchs. Anfangs erhielten die Kinder von einem Lehrer aus Enzesfeld und der Mutter Unterricht, später von Hauslehrern.
1854 zog die Familie wegen des Schulbesuchs der Kinder nach Wien. Dort heiratete die 18-jährige Marianne 1857 den Industriellen Michael Hainisch (18321889), der eine Spinnerei in Aue bei Schottwien betrieb. Das erste von ihren zwei Kindern war der spätere liberal-demokratische Politiker Michael Hainisch (18581940), der von 1920 bis 1928 als Präsident der Republik Österreich und 1929/1930 als Handelsminister wirkte. Als zweites Kind folgte 1860 die Tochter Maria.
Aus wirtschaftlichen Gründen und wegen der Erziehung der Kinder wechselte die Familie Hainisch 1868 nach Wien. Durch den amerikanischen Sezessionskrieg (18611865) geriet wie viele andere Betriebe auch ihre Spinnerei in eine Krise, weil aus den USA keine Baumwolle mehr importiert werden konnte. In Aue verloren 300 Arbeiter ihre Arbeitsplätze.
Durch das Schicksal einer Freundin aus der Nachbarschaft erkannte Marianne Hainisch, wie wichtig Frauenbildung für den persönlichen Existenzkampf sein kann. Weil der Mann der Freundin, ein Fabrikbesitzer, wegen Krankheit seine Frau und seine drei Kinder nicht mehr ernähren konnte, suchte dessen Gattin eine Arbeit. Doch obwohl sich Marianne von morgens bis abends den Kopf zermarterte, konnte sie für ihre Freundin, die mehrere Sprachen sprach und sehr musikalisch war, keine Erwerbsmöglichkeiten ausfindig machen.
Die 30-jährige Marianne Hainisch erkannte im Fall ihrer Freundin ein Problem, das viele Frauen des Mittelstandes betraf: Sie hatten weder die Befähigung noch die Rechte, besser bezahlte Stellen einzunehmen. Nach Mariannes Ansicht konnte nur eine bessere Ausbildung für Abhilfe sorgen. Darüber verfasste sie einen Artikel, den aber keine Zeitung veröffentlichte.
Bei der 3. Generalversammlung des Wiener Frauen-Erwerbsvereins am 12. März 1870 hielt Marianne Hainisch bebend eine Rede Zur Frage des Frauenunterrichts, in der sie forderte, die Frau solle zu jedem Beruf berechtigt sein, zu dem sie fähig sei. Ihre Ansprache gipfelte in dem öffentlichen Antrag, die Gemeinde Wien solle Parallelklassen für Mädchen an einem Realschulgymnasium errichten.
Dieser Vorstoß schlug wie eine Bombe ein, Zeitungen berichteten darüber, und die Erste österreichische Sparkasse spendete für die Gründung eines Mädchengymnasiums 40000 Gulden. Doch außer der Gründung einer Bildungsschule für Mädchen, aus der sich zunächst das vier- und dann das sechsklassige Mädchenlyceum als unbefriedigende Zwischenlösung entwickelte, geschah zunächst nichts.
Auf Initiative von Marianne Hainisch entstand 1888 daher der Verein für erweiterte Frauenbildung. Lange mussten sie und ihre Mitstreiterinnen kämpfen, bis 1892 die erste Gymnasiale Mädchenschule errichtet wurde. Die ersten fünf Mädchen, die dort unterrichtet wurden und am Akademischen Gymnasium die Matura (Abitur) ablegen mussten, fielen durch eine davon stürzte sich sogar verzweifelt in die Donau, konnte aber gerettet werden. Später absolvierten österreichische Mädchen lieber in Prag oder in Graz die Matura. Aus der Gymnasialen Mädchenschule ging das damals einzige humanistische Mädchengymnasium in Wien VI., Rahlgasse 4, hervor.
1899 beteiligte sich Marianne Hainisch als Delegierte verschiedener Organisationen am Internationalen Frauenrat und wurde dessen Vizepräsidentin. 1902 formte sie aus 13 liberal-bürgerlichen Frauenvereinen den Bund österreichischer Frauenvereine. Damit strafte sie den österreichischen Politiker Victor Adler (18521918) Lügen, der meinte, ein Frauenbund werde ihr nicht gelingen. 1904 trat dieser Bund dem International Council of Women (ICW, Weltbund der Frauen) bei, womit eine weltweite Zusammenarbeit begann. 1914 gehörten dem Bund österreichischer Frauenvereine, den Frau Hainisch bis 1918 führte, bereits 90 Vereine an.
Nach dem Ersten Weltkrieg (19141918) widmete sich Marianne Hainisch der Fürsorge und der Friedensbewegung und übernahm nach dem Tod ihrer Freundin Bertha von Suttner (18431914) die Leitung der Friedenskommission im Bund österreichischer Frauenvereine. Außerdem engagierte sie sich zusammen mit der Pfadfinderbewegung für die Einführung des Muttertags in Österreich, der dort ab 1924 gefeiert wurde.
Zu den Freundinnen von Marianne Hainisch zählte auch die österreichische Schriftstellerin Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach (18301916). Aus ihrer eigenen Feder stammen die Werke Zur Frage des Frauenunterrichts (1870) und Die Mutter (1913). Mitte der 1920-er Jahre gründete sie die Österreichische Frauenpartei, trat aber bald wieder vom Vorsitz zurück.
Am 5. Mai 1936 starb Marianne Hainisch im Alter von 96 Jahren in Wien. In ihrem Geburtsort Baden bei Wien wurde 1967 zu ihren Ehren ein Denkmal enthüllt. Das Werk von Marianne Hainisch lebt noch heute fort: 1997 gehörten dem Bund österreichischer Frauenvereine 17 Organisationen an. Zu den ältesten Mitgliedern zählen die Wiener Musikerinnen und der Verband der Akademikerinnen Österreichs, zu den jüngsten die Internationale Liga für Frieden und Freiheit.
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).