In der Geschichte der Frauenbewegung nimmt die Schriftstellerin Mary Godwin (17591797), geborene Wollstonecraft, einen Ehrenplatz ein: Sie war die erste Frauenrechtlerin Englands sowie eine der berühmtesten Frauen der Literatur- und Geistesgeschichte. Als ihr bedeutendstes Werk gilt A Vindication of the Rights of Women, in dem sie leidenschaftlich für die soziale und rechtliche Gleichstellung der Frauen eintrat.
Mary Wollstonecraft kam am 27. April 1759 als zweites von sechs Kindern von Edward John Wollstonecraft und seiner Frau Elizabeth, geborene Dixon, in Spitalsfield, einem Vorort von London, zur Welt. Ihr Vater war durch eine Erbschaft zu Wohlstand gelangt, befasste sich mit Landwirtschaft, herrschte in der Familie als regelrechter Tyrann und sprach reichlich dem Alkohl zu, ihre Mutter Elizabeth stammte aus Irland.
Im Alter von 19 Jahren verließ Mary Wollstonecraft 1778 ihre Familie und trat eine Stellung als Gesellschafterin bei einer alten Dame an, mit der sie nach Bath, Southampton und Windsor reiste. 1780 kehrte Mary in ihr Elternhaus zurück, um die erkrankte Mutter zu pflegen, die noch im selben Jahr starb.
1783 gründete Mary Wollstonecraft zusammen mit ihrer Schwester Eliza und ihrer besten Freundin Fanny Blood (17561785) zunächst in Islington und später in Newington-Green eine Schule. Als sich die schwerkranke und schwangere Fanny Blood in der portugiesischen Hauptstadt Lissabon aufhielt, reiste Mary dorthin, um ihr beizustehen, doch die Freundin und das Kind starben.
Nach Mary Wollstonecrafts Rückkehr in die Heimat musste ihre Schule aus finanziellen Gründen geschlossen werden. In dieser schwierigen Zeit schrieb sie das Pamphlet Thoughts on the Education of Daughters (Gedanken über Mädchenerziehung, 1787). Ab Oktober 1787 verdiente sie sich im Haushalt von Lord Kingsbourough als Erzieherin ihren Lebensunterhalt.
Während eines Sommeraufenthaltes ihrer Arbeitgeber in Bristol Hot-Wells verfasste Mary Wollstonecraft das Buch Mary: A fiction (1788), das die Geschichte einer Frauenfreundschaft erzählt und die problematischen Verhältnisse zwischen Männern und Frauen schildert. Anschließend wollte sie als Schriftstellerin leben, zog nach London und brachte ein Buch für Kinder mit dem Titel Original Stories from Real Life zu Papier.
Ein neues Tätigkeitsfeld eröffnete sich für Mary Wollstonecraft, als ihr der Verleger Joseph Johnson (17381809) eine Stelle als Übersetzerin anbot. Sie willigte ein, verbesserte ihr Französisch und lernte außerdem Deutsch und Italienisch. Zu ihren wichtigsten Übersetzungen gehörte das Werk Elements of Morality des deutschen Pädagogen Christian Gottlieb Salzmann (17441811).
Ein Jahr nach Beginn der Französischen Revolution (17891799) warnte 1790 der britische Publizist, Politiker und Philosoph Edmund Burke (17291797) in einem Buch davor, das französische Beispiel in England zu übernehmen. Zu den ersten Fortschrittlichen, die darauf in einem Buch antworteten, gehörte Mary Wollstonecraft: Sie verteidigte in Answer to Burkes Reflections anonym die Ideale der Französischen Revolution. Später erschien unter ihrem Namen die zweite Auflage mit dem Titel A Vindication of the Rights of Men (1790), für die man ihr viel Beifall zollte.
Ermutigt durch diesen Erfolg ließ Mary Wollstonecraft das Buch A Vindication of the Rights of Women (Eine Verteidigung der Rechte der Frauen, 1792) folgen. Darin hieß es: Man mache die Frauen zu vernünftigen, freien Bürgerinnen. Sie werden dann auch gute Frauen und Mütter werden vorausgesetzt, dass die Männer nicht nur ihre Pflichten als Gatten und Väter vernachlässigen. Dieses Werk erschien 1796 auch in Frankreich, Deutschland, Italien und in den USA.
Um die Französische Revolution vor Ort zu erleben, plante Mary Wollstonecraft einen Besuch in Frankreich. Wegen der gespannten politischen Lage musste sie die zusammen mit ihrem Verleger Heinrich Füßli (17411825) und seiner Frau geplante Reise jedoch bald abbrechen. Zu Füßli hatte sie offenbar eine große Zuneigung entwickelt.
1792 ging Mary Wollstonecraft nach Paris, wo die Monarchie damals faktisch bereits gestürzt war. Nach dem Sturz der Girondisten im Juni 1793 wurde die Lage für Mary in Frankreich bedrohlich. Aus dieser schwierigen Situation befreite sie der amerikanische Diplomat und Geschäftsmann Gilbert Imlay (17541828), der im Sommer 1793 ihr Liebhaber wurde und sie ab September 1793 als seine Frau ausgab.
Bald danach begann Mary Wollstonecraft die Arbeit an dem Buch A Historical and Moral View of the Origin and Progress of the French Revolution (1794). Zu ihrem beiderseitigen Nutzen als Ausländer zogen Mary und Gilbert nach Le Havre. Imlay machte florierende Geschäfte während der britischen Blockade gegen Frankreich. Mary brachte 1794 eine Tochter zur Welt, die sie nach ihrer verstorbenen Freundin Fanny nannte. Ihre Beziehung mit Imlay verlief zeitweise so unharmonisch, dass sie sogar an Selbstmord dachte.
1795 hielt sich Imlay in London auf, während Mary mit ihrer Tochter Fanny und einem Kindermädchen eine Geschäftreise nach Skandinavien unternahm, über die sie das Buch Letters Written During a Short Residence in Sweden, Norway and Denmark (1776) schrieb. Nach der Rückkehr aus Skandinavien endete im Oktober 1775 in England die Beziehung mit Imlay, der während Marys Abwesenheit eine Affäre begonnen hatte.
Am 29. März 1797 heiratete Mary Wollstonecraft den englischen Philosophen und Schriftsteller William Godwin (17561836), der früher nonkonformistischer Geistlicher gewesen war. Ihr Gatte wurde durch seine politischen Schriften, in denen er anarchistische und atheistische Ideen verfocht, richtungsweisend für die englische Romantik. Er wandte sich gegen jede Form der Tyrannei und forderte Freiheit und Gleichheit für alle Menschen.
Mary Godwin starb kurz nach der Geburt ihrer Tochter Mary (17971851) am 10. September 1797 im Alter von nur 38 Jahren in London. Ihr Mann gab 1798 ihre Posthumous work in vier Bänden heraus, verfasste ihre Biographie Memoirs of the Author of a Vindication of the Rights of Woman (1798) und porträtierte sie in seinem Roman St. Leon (1799). Ihre Tochter Mary Shelley (17971851, Bild unten), geborene Godwin, schrieb den Roman Frankenstein (1818). Ihr Schwiegersohn, der Dichter Percy Bysshe Shelley (17921822), setzte ihr in seiner Dichtung Laon and Cythna (1818), die später den Titel Revolt of Islam erhielt, in der Gestalt der Cythna ein bleibendes literarisches Denkmal.
Diese Biografie stammt aus der Taschenbuchreihe „Superfrauen“ des Verlags Ernst Probst (www.frauenbiografien.de.vu).