„Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen“, sagte einst der Schriftsteller Kurt Tucholsky (1890-1935). Zu Tucholskys Lebzeiten waren ja aber auch die Verkehrswege noch nicht derart verstopft von Fahrzeugen mit lästigen Mitmenschen, die einen bei der fließenden Autofahrt behinderten.
Im heutigen hektischen Zeitalter der rasanten Mobilität und den häufigen Staus sind jedoch immer mehr aggressive Autofahrer im Straßenverkehr zu beobachten – und auch man selbst findet sich manchmal v i e l mehr als ungeduldig hinterm Steuer wieder…
Ärgernisse im Straßenverkehr
In wohl keinem anderen Bereich schaukeln sich die Emotionen derart empor wie auf unseren Autobahnen und Landstraßen. Gerade im dichten Nebeneinander auf dem Weg von A nach B gibt es täglich Situationen, die viele Verkehrsteilnehmer zur Weißglut bringen. Besonders beliebt sind vor allem Zeitgenossen wie die „Knapp-vor-einem-Herausfahrer-und-dann-Schleicher“ oder „Erst-Blinker-wenn-schon-längst-auf-der-Abbiegespur-Befinder“, Drängler oder die „Bei-jeder-Kurve-100-Meter-vorher-Bremser“. Der eine fährt dem anderen zu langsam, der andere zu schnell, es wird geschnitten oder ausgebremst. Ärger steigt in einem auf und äußert sich in verbalen Ausbrüchen, Flüchen und oft auch in wilden Gebärden. Im Nachhinein schämt man sich meist für die Entgleisung, doch beim nächsten Grund zur Ärgernis ist sie wieder da: Diese unbezähmbare Wut. Doch wie kann man dagegen ankämpfen?
Aggressionen – eine Frage der Erziehung?
Ärger ist die emotionale Form der Aggression, während Spott, Schimpfen und Mimik die verbale Form und Bedrohen, Schlagen oder gar Töten die physische Form der Aggression sind. Aggressionen werden der Lernpsychologie zufolge wie jedes andere Verhalten erlernt. Es ist eine soziale Verhaltensweise, die in der Entwicklung ein positives Ziel wie z.B. Lob erreicht haben kann und daher Aggression im Gehirn als zielführendes Verhalten gespeichert hat. Desgleichen kann eine brenzlige, also negative Situation durch Aggression gemeistert worden sein. Zudem wird Aggression mit der Zeit als selbstverständlich gespeichert, wenn z.B. die zornigen Ausbrüche eines Kindes von dessen Eltern sehr oft gebilligt worden sind.
Wutabbau durch Katharsis oder besser Ablenkung?
Der österreichische Psychoanalytiker Sigmund Freud (1856-1939) und viele weitere Psychologen waren lange der Meinung, den Druck aufsteigenden Ärgers helfe das Ausüben aggressiver Handlungen abzubauen. Sandsackboxen oder sonstige abreagierende Aktionen nach vorheriger Frustration hätten demnach Ärger und Wut reduzierende Effekte. Diese These der Katharsis, der „Reinigung“, wurde später jedoch von zahlreichen Studien widerlegt. Eine Untersuchung von Brad J. Bushman im Jahre 2002 belegte z.B. das absolute Gegenteil: Während die eine Gruppe der Testpersonen, ihre Wut mit dem Gedanken an die Person, die sie geärgert hat, an einem Sandsack auslassen durfte, musste die andere – ebenso verärgerte – Gruppe den Sandsack ebenso bearbeiten, aber mit dem Gedanken daran, körperlich fitter zu werden. Sie wurde also abgelenkt. Eine dritte Gruppe, die Kontrollgruppe, tat in der Zwischenzeit gar nichts. Das verblüffende Ergebnis war, dass die erste Gruppe, die ihre Wut an der Person, die sie geärgert hatte, an dem Sandsack auslassen durfte, genauso wütend war wie zuvor. Die Gruppe, die den Sandsack zur besseren Fitness bearbeitet hatte und sich vom Ärger ablenkte, hatte ihren Sack zwar aggressiver bearbeitet als die erste Gruppe, war aber weniger wütend. Am wenigsten ärgerlich war jedoch die Gruppe, die in der Zeit nichts unternommen hatte.
Fazit
Wie sich wohl diese Erkenntnis nun auf unseren Ärger im Straßenverkehr ummünzen lässt? Manchmal lässt es sich wohl nicht vermeiden, ärgerlich auf manche Straßenteilnehmer zu reagieren. Aber es muss doch nicht gleich Hupen oder das Tippen an die Stirn sein. Vor allem sollte man den Ärger nicht durch unsicheres Fahrverhalten kompensieren. Es nutzt keinem etwas, wenn man den schleichenden Vordermann aus Frust an einer unübersichtlichen Kurve überholt. Vielleicht hilft manchem ja das Hören klassischer oder Meditationsmusik, um beim Autofahren zur inneren Ruhe zu kommen und sich nicht über jede Kleinigkeit aufzuregen? Wen das nicht beruhigt, kann sich ja immer noch einen kleinen Punchingball am Armaturenbrett montieren…