Man hat Sie also gebeten, bei der anstehenden Weihnachtsfeier eine kleine Ansprache zu halten. Wenn Sie diese zehn Dinge befolgen, ist Ihnen die Blamage sicher:
1. Einen Rhetoriktrainer können Sie sich nicht leisten? Macht nichts! Der Hausmeister schuldet Ihnen noch einen Gefallen, weil Sie ihn nicht verpfiffen haben, als Sie ihn neulich betrunken überraschten. Und er hat selbst berichtet, dass er bei seinem Stammtisch als der Star-Redner schlechthin gilt. Also soll er Ihnen beibringen, was er weiß.
2. Es genügt völlig, ein Buch zum Thema „Rhetorik“ zu kaufen. Wenn Sie es auch noch lesen, haben Sie das Optimum der notwendigen Vorbereitung erreicht. Jetzt noch zu üben, würde das Ganze nur monoton und unerfrischend routiniert wirken lassen. Sparen Sie sich also die Abende bei den Toastmasters.
3. Sollten Sie doch einen Rhetorikkurs absolvieren wollen: Die besten Kurse sind die mit den größten Anzeigen im Lokalblatt. Hier gilt wie so oft: Günstig ist gut – günstiger ist besser. Wenn die Seminargebühr niedrig ist und noch einen Imbiss beinhaltet, können Sie gar nichts falsch machen. Da brauchen Sie sich von den Tipp- und Grammatikfehlern in der Anzeige nicht stören zu lassen.
4. Wenn Sie sich schon so gut vorbereitet haben, sollen es die anderen auch merken. Lesen Sie deshalb Ihre mehrseitige Rede (am besten mit einfachem Zeilenabstand geschrieben) vom Blatt ab. Vermeiden Sie dabei unter allen Umständen Blickkontakt.
5. Wann, wenn nicht jetzt, wäre die beste Gelegenheit, die neuen Rhetorik-Tricks auszuprobieren, von denen Sie neulich in den Magazinen im Wartezimmer Ihres Zahnarzts gelesen haben? Spontan ist immer gut – da ersetzt der Schub des Neuen das langweilige Austesten daheim.
6. Bitten Sie einen Kollegen, Ihre Ansprache zu filmen, damit Sie sie auf ihren Youtube-Channel setzen können. Sprechen Sie in die Kamera und weisen Sie mehrmals auf Ihren Channel, die Subscribe-Funktion und Ihre anderen Beiträge hin. Damit beweisen Sie, dass Sie auf der Höhe der Zeit sind.
7. Wenn Sie Ergebnisse präsentieren, beschränken Sie sich auf die nackten Ziffern. Unter welchen Schwierigkeiten Sie dieses Ergebnis erreicht, gegen welche Widrigkeiten Sie dabei gekämpft haben – das interessiert ja eh niemanden. Je knapper, desto wirkungsvoller. Lassen Sie nackte Zahlen sprechen!
8. Egal, was dieses Jahr passiert ist: Ob Highlights in der Geschichte des Unternehmens, innerbetriebliche Hochzeiten oder gar Todesfälle – nichts ist so interessant wie das, was Sie zu erzählen haben. Vergeuden Sie Ihre Zeit im Rampenlicht nicht mit Rückblicken dieser Art!
9. Wenn Sie Ihre Rede zu spannend gestalten, riskieren Sie, für oberflächlich und unseriös gehalten zu werden. Bleiben Sie trocken – und erzählen Sie bloß keine bewegenden Anekdoten wie Moses Mendelsson1.
10. Schon lange aus der Mode: Es wirkt devot und anbiedernd, sich am Ende der Rede beim Chef, den Mitarbeitern und Kollegen für die tolle Zusammenarbeit oder Unterstützung zu bedanken. Das haben Sie gar nicht nötig.
Rhetorik-Trainer Matthias Pöhm coacht Spitzenleute aus Politik und Wirtschaft für deren öffentliche Auftritte und veranstaltet das „teuerste Rhetorik-Seminars Europas“ (FAZ), wo die Teilnehmer vor 120 Menschen als bestelltem Publikum reden müssen.
Viel Medienecho erzeugte er, als er die weltweit operierende „Anti-PowerPoint-Partei“ gründete.
Sebastian ist Dipl. Wirtschaftsinformatiker und arbeitet seit 1998 für verschiedene Onlinemedien. Er engagiert sich ehrenamtlich in Projekten zur Krebsforschung, ist verheiratet, hat ein Kind und lebt in Berlin. Seit 2004 leitet er die Redaktion. - Profil