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Die junge Frau die mir beim Interview für meine Hausarbeit über die „Psychologie der Sucht“ gegenüber sitzt, sieht eigentlich überhaupt nicht nach ausgemergeltem Wrack aus.
Ganz im Gegenteil. Yvonne ist neunundzwanzig Jahre alt, gut gekleidet, braun gebrannt, gepflegt und ausgesprochen hübsch. Sie hat ein hoch qualifizierendes Studium abgeschlossen und arbeitet in einem gut bezahlten Job bei einem bekannten, privaten Fernsehsender. Sie ist eloquent und wirkt gebildet.
Yvonne konsumiert seit über 10 Jahren Drogen.
Gegen das Wort „Sucht“ wehrt sie sich. Speed, manchmal Koks und wenigstens jeden Abend ein paar Joints vor dem Einschlafen. Als ich von ihr wissen will, wie die Drogen sich zum festen Bestandteil in ihrem Leben entwickeln konnten, erzählt sie mir ihre Geschichte.„Es sind lange nicht mehr nur die vernachlässigten Kinder aus sozial fragwürdigen Elternhäusern, die mit diesen Dingen in Berührung geraten. Mein Vater arbeitet als Filialleiter bei einer großen Bank und meine Mutter als Ärztin im Krankenhaus. Ich bin in vollkommen heilen Verhältnissen aufgewachsen, und eigentlich hätte ich keinen Grund gehabt, „auf die schiefe Bahn“ zu geraten. Meine um ein Jahr jüngere Schwester zum Beispiel hat bis heute nicht einmal eine Zigarette angerührt.
Alle haben gekifft
Mit sechzehn habe ich bereits eine Schachtel am Tag geraucht. Heute sind es übrigens zwei. Rauchen war damals im Trend und es war nur eine Frage der Zeit, bis mir auch jemand den ersten Joint angeboten hat. Damals war ich achtzehn. Am Anfang habe ich gar nichts gemerkt, aber bei der zweiten Tüte war ich innerhalb kürzester Zeit vollkommen breit. Entspannt habe ich mich gefühlt. Absolut gelassen. Das war für mich und meine latent verunsicherte, achtzehnzehnjährige Psyche ein erstrebenswertes neues Gefühl. Das war gut. Das wollte ich öfter haben, und ich habe es mir öfter geholt. Plötzlich war es normal in unseren Kreisen. Irgendwann war es sogar normal an der Oberstufe in unserem Gymnasium.
Im Studium dann das erste Mal XTC und gleich bei der ersten Pille habe ich mich so glücklich gefühlt, wie nie zuvor. Ich war unter den Besten in meinem Jahrgang, aber ich habe mein Studium gehasst und unter dem Druck gelitten. Mir hat weder mein Leben noch die Haut gefallen, in der ich stecke. Nach außen gab ich den Sonnenschein, aber innerlich bin ich ein verknotetes Häufchen Elend gewesen. XTC hat mich genau an meinen ureigenen Defiziten gepackt. XTC macht selbstbewusst und aktiv, aufgeschlossen und emotional. Auf einmal konnte ich fröhlich und schwerelos sein und mich wohl in meinem Körper fühlen. Ich konnte mit Männern flirten, und habe es genossen. Nüchtern oder nicht, mein Selbstwertgefühl hat das aufgesogen wie ein Schwamm.

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Ich hatte Sex mit flüchtigen Bekannten
Obwohl es mir an den Tagen danach immer dreckig gegangen ist und ich mir fast schon regelmäßig die Seele aus dem Leib gebrochen habe, war ich jedes Wochenende wieder mit lauter genau so vollgedröhnten Leuten auf irgendwelchen fragwürdigen Parties unterwegs. Das waren die einzigen Stunden in der Woche, in denen ich mich halbwegs einverstanden mit meiner Persönlichkeit und meinem Leben begreifen konnte. XTC taucht die ganze Welt in rosarotes Glücksgefühl. Ich glaube, ich habe schon damals gewusst, dass das alles nicht echt ist. Darauf ist es mir nicht angekommen.
Ich habe angefangen, im Rausch die Kontrolle zu verlieren.
Ich hatte Sex mit flüchtigen Bekannten oder habe fremden Menschen versehentlich meine Lebensgeschichte an den Kragen geheult, wenn mein drogenbedingter Emotionsüberschuss in die falsche Richtung abgeglitten ist. Zwei oder drei mal bin ich auch in der Öffentlichkeit zusammengebrochen, weil ich den ganzen Tag nichts gegessen und dann die Tablette auf nüchternen Magen geschluckt habe. Oft waren mir diese Ereignisse im Nachhinein so peinlich, dass ich mir geschworen habe, nie wieder etwas von dem Zeug anzurühren, aber tatsächlich funktioniert haben die guten Vorsätze dann allerhöchstens für zwei oder drei Monate. Ich mag mein Leben ohne Drogen einfach nicht sonderlich. Die Realität macht mich auf Dauer und so ganz ohne Unterbrechungen eher mürbe und depressiv.
Abgesehen davon hätte ich mich nüchtern sowieso nicht ertragen
Nachdem ich bei einer Party so viel von dem Zeug erwischt habe, dass ich in einer einzigen Nacht Sex mit drei verschiedenen Männer gleichzeitig hatte und mich am nächsten Tag an nichts mehr erinnern konnte, habe ich endgültig aufgehört mit diesem Mist. Ich habe mich noch wertloser und schmutziger gefühlt als sonst. Gekifft habe ich weiterhin, sonst hätte ich längst nicht mehr einschlafen und mich tagsüber beim Lernen auch nicht konzentrieren können. Abgesehen davon hätte ich mich nüchtern sowieso nicht ertragen.
In dieser Zeit habe ich angefangen, regelmäßig Speed zu schnupfen.
Ich konnte nachts länger lernen und mich an den Wochenenden auf einmal bis in die frühen Morgenstunden betrinken, ohne dabei irgendwie unangenehm aufzufallen. Speed macht kommunikativ, selbstsicher und wach, aber man behält komplett die Kontrolle. Wenn ich danach nicht einschlafen konnte, habe ich einfach einen Joint nach dem anderen geraucht. „Runterrauchen“, nennt man das.
Auf der anderen Seite führe ich ein völlig normales Privatleben
Im Großen und ganzen funktioniert mein Leben schon lange auf zwei verschiedenen Ebenen. Tagsüber gebe ich meine volle Konzentration, abends entspanne ich mich bei einem Joint und wenn ich mich morgens allzu erbärmlich fühle, um der Welt da draußen wieder entgegen zu treten, ziehe ich eine Line Speed, bevor ich ins Büro fahre. Ich verkaufe mir das als persönliche Form der Notwehr. Manchmal habe ich Angst vor meinem Job und der ganzen beschissenen Verantwortung, die in meinem Leben auf mich wartet. Die Drogen machen mich mutig und geben mir Halt.
Ich habe ganz normale Hobbys und einen großen Freundeskreis. Manche meiner Bekannten nehmen Drogen, manche nicht. Den ein oder anderen Freund habe ich verloren, weil er vom vielen Kokain größenwahnsinnig geworden ist. Zuviel von dem Stoff macht die Leute zu ungenießbaren Arschlöchern. Offen wird über das Thema natürlich nur selten gesprochen. Man sollte vorsichtig sein. Ein alter Schulfreund von mir ist neulich mit ein paar Garmm Koks erwischt worden und wird seinen Führerschein abgeben müssen. Überhaupt lesen sich Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz ziemlich undankbar im Lebenslauf.
Als ihr der linke Ärmel ein wenig nach oben rutscht …
Drogen sind strafbar. Das Zeug ist gefährlich, vergiftet deinen Körper und kann dein Leben zerstören. Ich kenne die kausalen Zusammenhänge. Es ist mir klar, dass mein Drogenkonsum nur ein Fluchtversuch ist und ich in Wirklichkeit wahrscheinlich ein ziemlich armes Würstchen bin, aber der nüchternen Realität gegenüber fühle ich mich eben meistens vollkommen ausgeliefert. Die Drogen machen mich entweder leistungsfähig und energisch, oder weich und entspannt. Ich kann das steuern.

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Es fühlt sich gut an, wenigstens begrenzt die Kontrolle über die eigenen Gefühle zu haben.“
Yvonne ist nur eine von vielen und ihre Geschichte nicht unbedingt außergewöhnlich. Für die Hausarbeit habe ich mehrere Konsumenten interviewt. Erfolgreiche Menschen. Sympathische Menschen. Oft sehr sensible, empfindsame Menschen, die sich vom Leistungsdruck in ihrem eigenen Leben schlichtweg überfordert fühlen. Die junge Frau die mir gegenüber sitzt, könnte genau so gut an meiner Uni sein oder im gleichen Fitnessstudio wie ich trainieren.
Als ihr der linke Ärmel ein wenig nach oben rutscht, sehe ich ihre zerschnittenen Unterarme. Ich frage mich, ob es wirklich das ist, was sie unter der „Kontrolle über ihre Gefühle“ verstehen möchte.
Das Interview führte Mirjam-Magdalena Bohusch
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Guter Artilel👍
Ich hatte eine Zeit lang persönlichen Kontakt mit süchtigen gehabt. Warum ich nicht direkt in diese Scene hineingerutscht und ein User geworden bin verdanke ich den aufklärenden und abschreckenden Serien meiner Eltern welches sie während meiner Pubertät gerne angeschaut haben. Anfangs machte es Spass mit ihnen Zeit zu verbringen. Sie wirken charmant gebildet und erfolgreich. Viele von ihnen meinen die volle Kontrolle über den Konsum zu haben. Anfänglich konsumiert man um ein wenig Spass zu haben. Irgendwann konsumiert man weil man die entspannende oder aufputschende Wirkung spüren möchte. Wenn man an diesem Punkt nicht die Einsicht hat das überwältigende Probleme nicht durch Drogen Entlastung verschaffen kann. Kann man die Kontrolle über den Konsum verlieren. Von Drogensüchtigen die Therapien hinter sich hatten wurde gesagt, dass es bestimmte Phasen einer Sucht gäbe. Süchtige sind der Meinung kein Problem mit den Drogen im Leben zu haben. Solche Aussagen sollen schlicht und ergreifend eine Lüge an sein Umfeld und gegenüber sich selbst sein. Sie sind auch noch nicht bereit damit aufzuhören. Viele Drogenberater sagen das man als Angehörige vor einer vermeintlichen Co Abhängigkeit acht geben muss. Langjährige User haben eine Drogentherapie erst in Angriff genommen als sie alles verloren haben. Ihre Selbstkontrolle, Moral, Verantwortung, Arbeit, Wohnung, Freunde und Familie und am Ende auf der Straße leben mussten. Eine Therapie war für sie jedoch kein Garant für eine dauerhafte Heilung. Drogen können den Körper zerstören wie graue Gehirnzellen und Organe. Unter ihnen sprach man von Suchtdruck und Suchtverhalten welches nach einer erfolgreichen Therapie jedoch trotzdem therapeutisch behandelt werden muss. Und sie als Erwachsene irgendwie nach der Therapie Selbstverantwortung neu erlernen müssen. Das Suchtverhalten fiel ihnen am meisten schwer abzustellen. Als Angehörige kann man einem Suchtkranken nicht durch Zwang von der Sucht heilen. Da die Einsicht von ihnen selbst kommen muss. Süchtige die noch ihre Wohnung Arbeit Freunde Familie und Co Abhängige um sich haben hören ihrer Meinung nach nicht auf. Erst als sie alles verloren hatten. Ich kann nicht alle unter einem Kamm scheren. Es kann in jeder sozialen Schicht User geben. Je nach Persönlichkeit kann die Droge ihr Leben kontrollieren oder nicht. Aber es gehört sehr viel Kraft und Ausdauer dazu die Sucht welches medizinisch als chronische psychische Krankheit genannt wird zu unterbinden. Laut den Drogenberatern aus etlichen Dogentherapie Zentren bleibt man süchtig auch wenn man clean ist. Unter den Dauerkiffern gibt es auch Personen die aufgehört haben als eine Schizophrenie ausgebrochen ist. Ich konnte keinem von ihnen helfen geschweige trost Spenden. Da an der Wurzel gearbeitet werden muss und das ist die Psyche. Stärke und Mut der Realität direkt ins Gesicht zu blicken und lernen damit umzugehen. Das wäre die Beste Medizin. Aber es liegt an ihnen selbst ob sie es wollen. Ich wünschte das man nicht leichtfertig mit dem Konsum umgeht und es verharmlost. Das was ich bei denen gesehen habe war eine schwere Folge von falschen Entscheidungen welches ihre Gehirnzellen gekostet hat. Ich würde sagen das Erlernen mit dem Umgang des Lebens leichter wäre als der Umgang mit dem Suchtdruck. Deswegen wünsche ich vielen Mut und Kraft sich genau zu überlegen Drogen anzurühren oder nicht.